Pfarrer Karl Sendker

Predigten - Hilfen zur Bibelarbeit

Gottesdienste - geistliches Leben

 

10. Sonntag B
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Predigten

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Predigt zu Gen 3,1-15 im MP3 Format

Predigt zum Evangelium: Mk 3,20-35

Predigt zu Mk 3,20-35 im MP3 Format        Predigt als Video

Predigttext:   Mk 3,20-35

 

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn man einen Menschen gerne hat, dann möchte man irgendwann auch seine Angehörigen kennen lernen, seine Verwandten. Heute begegnen uns im Markusevangelium zum ersten Mal die Angehörigen Jesu. Aber es ist keine schmeichelhafte Sache, die Angehörigen Jesu kennenzulernen.

 

Wir müssen uns die Situation vor Augen halten: Jesus heilt die Menschen. Zu Hunderten, vielleicht zu Tausenden sind sie zu ihm gekommen, weil sie spürten: Er sieht uns nicht wie ein Rädchen im großen Getriebe. Nein, er hat für jeden Einzelnen Zeit. Er hat sich um jeden Einzelnen gekümmert. Sein Engagement für die Menschen ging so weit, dass er und die Jünger nicht einmal mehr zum Essen kamen; so groß war der Andrang.

Und dann kommen seine Verwandten und sagen: „Den müssen wir da wegholen.“ Sie wollen Jesus mit Gewalt von dort wegholen, weil sie sagen: „Er ist von Sinnen.“ Auf gut Deutsch: „Der tickt nicht mehr ganz.“ Das ist doch nicht normal, was er da macht: dass er nicht einmal zum Essen Zeit findet. Und sie wollen ihn mit Gewalt dort wegholen. Da steht ein ganz starker Ausdruck im Griechischen: „Ihn mit Gewalt wegholen.“ Das ist der gleiche Ausdruck, der später in der Leidensgeschichte gebraucht wird, als sie Jesus gewaltsam gefangen nehmen. Das gleiche Wort steht hier, als die Verwandten kommen, die Angehörigen, und wollen ihn mit Gewalt dort wegholen, weil sie denken: Der spinnt, er durchgedreht.

 

Jesus hat einmal zu seinen Jüngern gesagt: Wenn du dich ganz auf mich einläst, wenn du wirklich Jünger wirst, nicht nur Kirchgänger oder Mitläufer, wenn du dich ganz auf Jesus einlässt, dann musst du damit rechnen, dass die eigenen Hausgenossen deine größten Feinde werden. Dann wird der Sohn stehen gegen den Vater, dann wird die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter, die Mutter gegen ihre Tochter sein. Der Riss wird mitten durch die Familien gehen.

Das sagt Jesus, und das erleben wir heute in vielen Familien. Es geht oft ein Riss durch gläubige Familien. Dann hat der Ehemann kein Verständnis für seine Frau, die einen engagierten Glauben lebt. Da fallen dann Worte wie Spinnerei, Fanatismus, Fundamentalismus usw. Da kann es sein, dass Eltern ihren Glauben leben müssen unter dem Spott ihrer heranwachsenden Kinder, die ihnen den Vogel zeigen, weil die „Alten“ den ganzen religiösen Quatsch noch glauben. Der Riss geht durch die eigene Familie.

 

Das hat Jesus angekündigt, und er erlebt das selber in seiner eigenen Verwandtschaft, dass seine Angehörigen kein Verständnis haben. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Evangelien.

Kurze Zeit später kommen die Angehörigen, auch Maria, die Mutter Jesu wird erwähnt, zu dem Haus, in dem Jesus lehrt. Dann sagen die Menschen, die drinnen sitzen und die das Wort Gottes hören: „Deine Mutter und deine Angehörigen stehen draußen und fragen nach dir.“ Verräterisch ist schon diese kurze Andeutung: die stehen „draußen“. Das ist nicht nur ein äußerliches draußen stehen. Die Bibel gebraucht solche Worte oft in symbolischer Bedeutung. Das sind die Außenstehenden, die nicht zum inneren Kreis gehören. Seine eigenen Verwandten und sogar seine Mutter stehen draußen. Als Jesus hört, dass die Angehörigen draußen stehen und nach ihm fragen, da schaut er die ganzen Leute an, die um ihn herum sitzen und das Wort Gottes hören. Er machte eine Handbewegung auf diese Menschen hin: „Das sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter.“

 

Das bedeutet etwas ganz wichtiges auch für unsere Zeit. Auf der einen Seite bedeutet das: In dem Augenblick, wo man sich auf Jesus einlässt, da werden menschliche, verwandtschaftliche Bindungen und Beziehungen zweitrangig. Es kann sogar sein, dass sie total gleichgültig werden.

Aber es bedeutet noch ein anderes: Jesus stiftet hier eine neue geistliche Familie. Wenn Menschen sich auf den Willen Gottes ausrichten, dann entstehen Beziehungen und Bindungen unter den Menschen, die viel stärker sind als die natürliche Blutsverwandtschaft.

 

Das war ja das Anfangsgeheimnis der ersten Christen in der Apostelgeschichte gewesen. Da ist ein Mann wie der Apostel Paulus immer nur herumgezogen. Er schreibt einen Brief an die Gemeinde in Rom. Am Ende dieses Briefes steht eine lange Grußliste. Mitten in dieser Grußliste steht eine ganz kleine Bemerkung: „Grüßt die Mutter des Rufus; sie ist auch mir zur Mutter geworden.“ Was muss das für eine Frau gewesen sein, dass Paulus von ihr sagt: „Sie ist auch mir zur Mutter geworden.“ (Röm 16,13) Sie hat mir in guten und bösen Stunden wie eine Mutter ein Stück Geborgenheit und Verständnis geschenkt.

Oder ein anderes Beispiel. Da schreibt der Apostel Paulus von einem jungen Mitarbeiter, Timotheus: „Ich habe keinen Gleichgesinnten wie ihn. Alle anderen suchen nur das eigene, nicht die Sache Jesu Christi. Aber seine bewährte Treue ist euch allen bekannt.“ Das schreibt Paulus an die Philipper. „Wie ein Kind seinem Vater, so hat er mit mir Dienste geleistet für das Evangelium.“ (Phil 2,19-22) Da ist ein Vatersohnverhältnis entstanden zwischen dem großen Apostel Paulus und dem jungen Timotheus.

Oder wieder ein anderes Beispiel: Da gab es in der frühen Christenheit einem Großgrundbesitzer mit Namen Philemon. Dem war ein Sklave mit Namen Onesimus weglaufen. Der war zu Paulus gekommen und hatte sich bei Paulus bekehrt. Nun schickt Paulus diesen Sklaven zurück zu seinem Herrn und gibt ihm ein Empfehlungsschreiben mit. Paulus muss diesen Großgrundbesitzer gut gekannt haben. Er bittet in diesem Empfehlungsschreiben: Nimm den Onesimus wieder auf, aber nicht wie einen Sklaven, sondern wie dein eigenes Kind. Er ist auch mir zum Sohn geworden.

 

Das ist gleichsam eine christliche soziale Revolution. Da sind in der Gemeinde die sozialen Unterschiede auf einmal aufgehoben. Der Sklave blieb Sklave und Großgrundbesitzer blieb der Herr. Und trotzdem waren sie auf einer ganz anderen Ebene, weil sie sich auf Jesus Christus ausgerichtet haben, nicht Sklave und Herr, sondern Bruder, Vater und Kind. Darin liegt nicht zuletzt die Anziehungskraft der Urgemeinde.

 

Und wir erleben das bis auf den heutigen Tag.

Ich will einmal ein Beispiel sagen. Ich habe einen Exerzitienkurs gehalten, da saß ein Bankdirektor zusammen am Tisch mit einem Arbeiter aus dem Tiefbau. Beide sitzen zusammen, die sozialen Unterschiede sind gleichsam aufgehoben. Sie versammeln sich um das Wort Gottes, sie tauschen sich über ihren Glauben aus, und sie werden auf einmal Brüder. Dann ist es egal, ob der eine studiert hat und der andere einfacher Arbeiter ist. Sie sind in Christus Brüder und Schwestern.

Wie oft habe ich das erlebt, wenn man sich ganz auf Jesus Christus ausgerichtet hat, dann werden die Unterschiede evangelisch und katholisch belanglos. Sie sind noch da, aber sie verlieren den trennenden Charakter, weil wir alle spüren, dass wir den gleichen Herrn haben.

Das ist das Geheimnis der ersten Christen, dass die Unterschiede nicht aufgehoben werden, aber sie verlieren ihren trennenden Charakter. Die Menschen bekommen eine neue Beziehung zueinander durch Jesus Christus. Er stiftet gleichsam eine neue geistliche Familie.

In unseren Kirchen und in den einzelnen Gemeinden bröckelt heute vieles ab, das sehen wir an allen Ecken.

Aber wenn wir es wieder lernen, uns ganz auf Christus auszurichten, wenn wir so lernen, geschwisterlich miteinander umzugehen, dann liegt da eine große Chance der Kirche auch heute, inmitten einer Gesellschaft, die vom Spalten und von Gegensätzen geprägt ist.

Lass Dich in eine neue geistliche Familie einfügen, weil Dein Leben ganz ausgerichtet ist auf Jesus Christus. Amen.

 

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