Pfarrer Karl Sendker  

 

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16. Sonntag B
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Predigten

Predigtverzeichnis  nach Bibelstellen geordnet

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Predigt zum Evangelium:   Mk 6,30-34

2. Predigt zu Mk 6,30-34: Schafe ohne Hirten    mp3

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Predigttext:      Mk 6,30-34

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Wenn man heute einen ganz normalen durchschnittlichen Katholiken darauf hinweist dass es wichtig, ja notwendig ist, regelmäßig in der Bibel zu lesen, regelmäßig zu beten, regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen, und zwar nicht nur sonntags, sondern auch werktags, was meinen Sie, was man dann als Antwort zu hören bekommt? Dann sagen die Leute: „Herr Pfarrer, wissen Sie, wenn

Sie den ganzen Tag über den Stress hätten, den ich habe, in der Arbeit, und jetzt als Landwirt bei der Ernte draußen. Dafür brauche ich meine ganze Kraft. Und wenn ich dann nach Hause komme, dann stehen die Kinder schon da: Papa hier und Papa dort. Dann muss der Garten noch gemacht werden ... Ich habe beim besten Willen keine Zeit zum Bibellesen usw. Wo soll ich die Zeit denn her nehmen? Wenn ich soviel Zeit hätte wie Sie, Herr Pfarrer, dann würde ich auch jeden Tag in der Bibel lesen und würde den Gottesdienst besuchen und beten. Aber bei mir ist das beim besten Willen nicht möglich. Der Stress, unter dem ich den ganzen Tag stehe, ist viel zu groß.“

Es ist merkwürdig: Alles, was mit Gott zu tun hat, was mit dem Glauben zu tun hat, das zählt bei den meisten Christen unter Stress. Das zählt unter zusätzlicher Anstrengung zu den normalen Belastungen des Alltags. Da können die Leute abends dann höchstens vor lauter Stress nur noch das Fernsehgerät einschalten und dann, wie sie sagen, zur Ruhe kommen.

Das ist aber nicht nur so bei einfachen Gemeindemitgliedern, das ist bei Priestern oft genau so. Ich habe einmal in meiner Kaplanszeit einen Pfarrer gehabt,  als ich dem sagte, er solle doch auch mal regelmäßig in der Bibel lesen, da hat er mir gesagt: „Wann soll ich das denn machen? Du siehst doch, wie viel ich zu tun habe. Ich bin froh, wenn ich es gerade noch schaffe, mein Brevier zu beten.“ Und als er in den Urlaub fuhr, habe ich ihm vor dem Urlaub gesagt: „Sag mal, willst du nicht in den Urlaub mal eine Bibel mitnehmen?“ Da schaute er mich ganz entgeistert an und sagte: „Im Urlaub?? Da will ich mich doch erholen.“  Merken sie, Bibellesen ist Stress.

Oder ein anderes Beispiel, ich habe als Kaplan einmal ein Ferienlager begleitet. Da waren wir mit der Gruppenleiterrunde vorher übereingekommen, dass wir mit den Kindern im Ferienlager, wenn sich die Gelegenheit ergab, auch eine Einführung ins Bibellesen machen wollten. Wir hatten in das Anschreiben an die Eltern geschrieben, die Kinder möchten doch bitte in das Ferienlager eine Bibel mitbringen. Da sind die Eltern auf die Barrikaden gegangen und haben mich angerufen: „Wieso jetzt schon im Urlaub Religionsunterricht? Im Urlaub sollen die Kinder sich erholen, und nicht noch Unterricht haben.“ Es ist merkwürdig, alles was mit Gott, mit Glauben und mit Beten zu tun hat, zählt bei uns als Stress.

Das ist umso merkwürdiger, weil es im genauen Gegensatz steht zu dem was Jesus uns heute im Evangelium sagt. Da haben die Jünger nun wirklich Stress gehabt, als sie zum missionarischen Einsatz geschickt waren. Und dann sagt Jesus zu ihnen: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus.“ Das ist der Wille Jesu, wenn wir zu ihm kommen, dass das nicht noch ein zusätzliches Pensum ist, sondern dass wir ausruhen können. Dass nicht nur unser Körper, unsere Beine sich ausruhen, sondern dass auch unsere Seele sich ausruhen und zur Ruhe kommen kann.

Denken Sie an ein anderes Wort Jesu aus dem Mathäusevangelium: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken. Ich will euch wieder fit machen, modern gesprochen. Ich glaube, es ist etwas ganz Wichtiges, dass wir diese Erfahrung wieder machen: Zu Jesus kommen, die Beschäftigung mit ihm, soll uns fit machen, soll uns zur Ruhe kommen lassen, und soll nicht noch eine zusätzliche Belastung sein.

 

Mir ist das auch einmal ganz deutlich geworden in meiner Schülerzeit, als Jugendlicher. Die Älteren werden das wahrscheinlich auch noch erlebt haben. Wenn ich als Jugendlicher bei meinem Freund, gegessen habe, dann war es bei denen so üblich: Nach dem Essen knieten sich alle auf den Boden, und dann wurde ein ganzer Rosenkranz gebetet. Da musstest man mitmachen, egal ob man wollte oder nicht. Wer mit gegessen hatte, der musste auch den Rosenkranz mitbeten. Das ist mir damals furchtbar gegen den Strich gegangen, da bin ich ganz ehrlich.

Oder eine ähnliche Situation: Wie oft habe ich als Kind zu hören gekriegt, wenn wir zu Hause gebetet haben: „Setze dich mal gerade hin, wenn du betest!“ Immer nur Drill.

Was hat das dann gut getan, als wir in meiner Gymnasialzeit einmal eine Schulmission hatten, und dann ein Pater sagte: „Wenn du zu Hause betest, dann setze dich erst einmal ganz bequem in einen Sessel, wo du richtig entspannen kannst. Und dann erst stell dir vor, du bist vor Gott, und dann fange an zu beten.“ Zunächst einfach wirklich zur Ruhe kommen, körperlich entspannt da sein. Das hat so gut getan. Ich glaube, wir brauchen dieses ‚zur Ruhe kommen’.

Es gibt viele Fachleute, die sich mit der Schlafphase des Menschen beschäftigen, und die haben folgendes herausgefunden: Normalerweise ist jeder Mensch, wenn er schläft, schön. Er ist dann normalerweise ganz entkrampft und entspannt. Und ein entspanntes Gesicht ist immer schön, ob jung oder alt.

Und dann sagten diese Schlafforscher: Merkwürdigerweise schlafen in unserer Zivilisation die Leute oft mit einem verkrampften Gesicht, manche mit zusammengebissenen Zähnen. Das kommt daher, weil sie zwar körperlich zur Ruhe kommen, aber die Seele kommt nicht nach, die Seele kommt nicht zur Ruhe. Die innere Anspannung ist immer noch da, und das drückt sich selbst im Schlaf im Gesicht aus.

Viele, vor allem jüngere Menschen machen heute die Erfahrung: Zu Jesus kommen heißt, zur Ruhe kommen. Warum fahren denn so viele junge Leute nach Taizé? Natürlich auf der einen Seite ist es das Gemeinschaftserlebnis, aber auf der anderen Seite haben sie hier einen Ort, wo sie ganz von der Seele her zur Ruhe kommen können.

Woher kommt das denn, dass in den letzten Jahren zunehmend Leute tagsüber einfach zwischendurch in die Kirche kommen, in die leere Kirche. Sie spüren, dass sie da zur Ruhe kommen können. Das ist auch der Grund, warum ich immer darauf gedrängt habe dass die Kirchen offen bleiben. Auch wenn Kinder manchmal in der Kirche Unsinn machen , ich möchte die Kirche nicht abschließen, damit Menschen diesen Ort der Ruhe haben. Da gibt es kein Telefon, da kommen keine Kinder und rufen: „Mama hier, Mama da.“ Da steht man auch nicht unter Stress, da muss man auch nicht ein gewisses Pensum beten, sondern da darf man einfach zur Ruhe kommen.

Und vielleicht gehen einem dann, wenn man so eine Zeit in der Kirche ist, vielleicht gehen einem dann die Gedanken überall hin spazieren, bloß nicht zu Gott. Aber das ist doch nicht schlimm! Lass die Gedanken doch spazieren gehen. Vielleicht nimmst du dann am Ende den einen oder anderen Gedanken und hältst ihn Jesus wie eine Blume hin im Dankgebet oder in der Fürbitte. Wichtig ist, dass wir vor dem Angesicht Gottes unsere Seele zur Ruhe kommen lassen.

Das muss übrigens nicht unbedingt in der Kirche sein, das kann auch draußen sein, das kannst du auch zu Hause haben, obwohl so ein Raum wie die Kirche natürlich sehr dazu einlädt. Vor Gott zur Ruhe kommen.

Mir ist die Notwendigkeit sehr deutlich geworden in meiner ersten Kaplanstelle. Da hatten wir eine Gruppe von vier Mädchen, die machten im Krankenhaus freiwillig Sonntagsdienst, ohne Entgelt. Nun hatten diese vier Mädchen eine Stationsschwester, eine Ordensschwester, von der sagten sie immer: „Das ist unsere Schreckschraube.“ Der konnten sie es einfach nicht recht machen. Es gibt ja Menschen, die immer nur nörgeln. Das gibt es bei Ordensleuten, das gibt es bei Priestern, das gibt es überall. Drei von diesen Mädchen haben nach kurzer Zeit die Klamotten hingeschmissen und haben gesagt: „Das sehen wir überhaupt nicht ein. Wenn wir uns schon freiwillig melden, dass wir uns dann immer so annörgeln lassen sollen. Nur eins von den Mädchen, ein evangelisches Mädchen, die hat weitergemacht mit der gleichen Gelassenheit und Freundlichkeit. Und längere Zeit später hatte ich einmal Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Dann habe ich sie gefragt: „Sag mal, nörgelt dich die Schwester nicht an?“ „Doch, das tut sie bei mir genauso.“ „Wieso hältst du denn durch, wieso schmeißt du die Klamotten nicht hin?“ Sie grinste etwas verlegen und dann erzählte sie: „Wissen Sie, ich habe jeden Morgen eine halbe Stunde „stille Zeit“, wie sie das nannte, mit Jesus. Und da kann ich ihm alles sagen. Da kann ich ihm jeden Patienten bringen. Und da ist mir auch klar geworden, als ich die Patienten vor Jesus gebracht habe, da hat Jesus mir gezeigt: Die brauchen dich, deine Freundlichkeit, dein natürliches Wesen, gerade weil sie so eine verquerte Schwester haben auf der Station. Und da kann ich auch - entschuldigen sie den Ausdruck - da kann ich mich auch vor Jesus so richtig auskotzen. Ich kann ihm alles sagen, auch wenn mir manchmal fast der Kragen platzt. Die Anerkennung, die ich bei der Schwester nicht bekomme, die bekomme ich bei Jesus. Ich bekomme da meine ‚Streicheleinheiten’. Ich darf ihm alles sagen, und daher bekomme ich die Kraft weiterzumachen.“

Da habe ich gespürt: Im Gebet zu Jesus kommen, das ist nicht ein zusätzlicher Stress, sondern ist gerade ein Kraftquelle, damit wir den Stress des Alltags, in diesem Falle auch des Sonntags, überhaupt noch durchhalten können. Das brauchen wir alle. Zu Jesus kommen heißt: zur Ruhe kommen.

Und hier bei diesem Mädchen, als sie so erzählte, da ist mir eins deutlich geworden, was auch hier im Evangelium steht: Die Apostel kamen zu Jesus und erzählten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten.

Daraus kann man eine ganze Gebetslehre entwickeln. Beten heißt nicht: du musst jetzt ein schönes Gedicht aufsagen; oder jetzt muss ich einen ganzen Rosenkranz schaffen, oder so ähnlich. Beten bedeutet einfach: das vor ihm aussprechen, was mir auf dem Herzen liegt. Ich darf mein Herz vor ihm ausschütten, und ich darf die Erfahrung machen, dass er sich mit mir freut, wenn mir etwas gelungen ist; dass er mit mir fühlt, wenn mir etwas quer liegt. Es ist ihm nicht egal, ob ich traurig bin, oder ob ich glücklich bin. Was in meinem Herzen ist, darf ich vor ihm aussprechen, und das tut so gut.

Es gibt heute so viele Menschen, die psychisch angeknackst sind. Und wie oft ist das dann heute so, dann gehen sie zum Psychologen, zum Therapeuten. Und wenn sie dann in Behandlung sind: eine ganz wesentliche Sache einer Therapie besteht darin, dass man einfach alles aussprechen darf, was da so tief unten im Herzen, in der Dunkelkammer, schlummert; dass man einmal aussprechen darf, was manchmal bis zurück in die Kindheit reicht. Das ist etwas ganz Wunderbares und Hilfreiches. Wir sind dankbar dafür, dass wir diese Therapeuten haben.

Aber auf der anderen Seite sage ich auch einmal: Wenn Du die gleichen Dinge in der stillen Zeit vor Jesus aussprichst, einfach dein Herz ausschüttest, dann hast du es erstens umsonst, zweitens brauchst du nicht um einen Termin zu fragen, denn Jesus ist immer für dich bereit, du brauchst ihn nicht erst zu suchen. Und er, der Schöpfer und Erlöser, wird die Tiefe deines Herzens heilen können. Er wird nicht nur Verständnis haben, sondern es kommen auch seine heilenden Kräfte dazu.

Darum ist dieses ‚vor ihm zur Ruhe kommen’ und ihm alles sagen dürfen, diese Redefreiheit, wo man kein Blatt vor den Mund nehmen muss, so wichtig.

 

Im Evangelium heißt es: Als Jesus mit den Jüngern über den See fährt, um alleine zu sein, um Ruhe zu haben, da haben die Leute das mitgekriegt. Und dann laufen sie um den See herum, um noch vor dem Boot am anderen Ufer zu sein. Ich kann mir gut vorstellen, warum die gerannt sind: um Jesus zu treffen. Sie haben gespürt: Bei ihm kann man zur Ruhe kommen. Nicht nur der Leib, sondern auch die Seele. Und das gilt heute auch.   Amen.

 

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