Pfarrer Karl Sendker

Predigten - Hilfen zur Bibelarbeit

Gottesdienste - geistliches Leben

 

23. Sonntag A
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Predigten

Predigtverzeichnis  nach Bibelstellen geordnet

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Predigt zur 1. Lesung:   Ez 33,7-9

Predigt zur 2. Lesung:  Röm 13,8-10

 Predigt zum Evangelium:   Mt 18,15-20

 

Predigttext:      Ez 33,7-9

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Als ich diesen Lesungstext zur Vorbereitung auf die Predigt gelesen habe, da war ich im tiefsten erschrocken. Da heißt es doch im ersten Teil: „Ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter.“ Und Gott sagt dazu: „Wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, musst du sie vor mir warnen.“

Ist unser Gott wirklich ein Gott, vor dem man warnen muss? Da heißt es ja: „Du musst sie vor mir warnen.“ Was ist das für ein Gott, vor dem man warnen muss?

Aber es steht hinter diesem Text eine ganz wichtige Botschaft. Wir haben bei uns heute in unserer Zeit, und möglicherweise war das damals im Alten Testament auch schon so, ein verniedlichtes Gottesbild. Wir reden entweder vom Herrgott - der tut keinem etwas zuleide, oder wir reden bei uns vom so genannten „lieben Gott“. Aber dieser ‚liebe Gott’, hat im Bewusstsein der heutigen Zeitgenossen günstigstenfalls noch nette, freundliche Züge.

Dem gegenüber betont die Bibel immer wieder, dass Gott auch der Richter ist, dass Gott auch Züge hat, die den Menschen strafen. Die Bibel redet vom Zorn Gottes. Weil uns das heute in unser Bild von Gott nicht hineinpasst, streichen wir einfach diese Stellen aus der Bibel und übergehen sie.

„Menschensohn, ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter. Wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, musst du sie vor mir warnen.“

Es stimmt: Gott möchte, dass der Mensch Leben in Fülle hat, so wie Jesus das im Johannesevangelium ausdrückt. Im Alten Testament wird das noch viel konkreter ausgedrückt. Dieses „Leben in Fülle haben“ drückt Gott immer wieder aus in der Verheißung: „Ich will dir ein Land geben, das von Milch und Honig fließt, das heißt doch, wo du Leben in Fülle hast. Das war der Plan Gottes. Und Gott hat diesen Plan auch Wirklichkeit werden lassen. Er hat seinem Volk das Land gegeben.

Aber der gleiche Gott hatte immer wieder auch dem Volk Israel gesagt: Wenn ihr meine Gebote übertretet, euch darüber hinwegsetzt, vor allen Dingen das erste Gebot ‚Du sollst keine fremden Götter neben mir haben’, wenn ihr anfangt, in dem Land, das ich euch gegeben habe, Götzendienst zu treiben, dann werdet ihr schleunigst aus dem schönen Land, das ich euch gegeben habe, verschwinden.

Es ist nicht einfach nur ein netter Gott, der ein par Streicheleinheiten gibt, sondern es ist auch der Gott, der seine Zusage vom Leben in Fülle gebunden hat an die Erfüllung seiner Gebote, vor allen Dingen an die Erfüllung des ersten Gebotes.

 

Dieser Text, den wir heute als Lesung haben, wo der Prophet Ezechiel als Wächter eingesetzt wird, der findet sich zweimal im Buch Ezechiel, einmal ganz am Anfang im dritten Kapitel, wörtlich der gleiche Text „Menschensohn, ich habe dich für das Haus Israel zum Wächter bestellt. Wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, so musst du sie vor mir warnen“. Das war ganz am Anfang seiner Wirksamkeit. Aber Israel hat nicht auf diese Warnung gehört, es hat weiterhin die Gebote Gottes übertreten, es hat weiterhin Götzendienst getrieben. Und was Gott als Gericht angekündigt hatte, ist inzwischen Wirklichkeit geworden. Im Jahr 587 hat Nebukadnezar Jerusalem erobert. Er hat den Tempel nieder gerissen, die Stadt in Schutt und Asche gelegt, er hat Israel in die babylonische Gefangenschaft verschleppt, ins Exil. Israel war gleichsam ausradiert. Nicht nur die Verheißungen Gottes waren Wirklichkeit geworden, sondern auch das Gericht.

Und da zeigte sich auf einmal wie recht dieses Wort hatte: „Menschensohn, du musst sie vor mir warnen.“ Denn es ist ernst. Es ist ernst mit den Verheißungen Gottes, es ist aber auch ernst mit der Gerichtsbotschaft Gottes. Das hatte das Volk Israel im Jahre 587 schmerzvoll erfahren. Sie waren gleichsam als Volk Gottes ausradiert.

 

Und jetzt kommt das Große: Nachdem das Gericht Gottes hereingebrochen ist, ergeht noch einmal an den Propheten Ezechiel dieser Ruf: „Du Menschensohn, ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter. Wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, musst du sie vor mir warnen.“ Dieser Ruf zur Warnung ergeht nach der Zerstörung Jerusalems noch einmal.

Und dann wird aus dieser Warnung gleichsam unterschwellig eine neue Verheißung. Ja, das Gericht war gekommen, aber durch das Gericht hindurch gibt Gott noch einmal eine neue Chance. Er lässt noch einmal warnen, damit der Mensch, der Einzelne im Volk Israel, umkehrt von seinem Weg.

Zwei Verse nach unserer Lesung heißt es ganz deutlich: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, ich habe kein Wohlgefallen am Tod des Gottlosen, sondern daran, dass der Gottlose von seinem Weg ablässt und lebt.“ Das Ziel Gottes ist nicht Gericht. Das Ziel Gottes bleibt auch durch das Gericht hindurch Leben, Leben in Fülle. Darum ergeht noch einmal dieser Ruf an  Ezechiel: „Menschensohn, ich habe dich zum Wächter gesetzt, du musst sie warnen“.

 

Ob wir in unserer Zeit heute nicht auch solche Wächter nötig haben, die uns davor warnen, dass wir auf einem falschen Weg sind? Ob wir nicht auch hören sollten, sehr wach hören sollten, wenn meinetwegen der Papst so ein Wächteramt ausübt? Oder ich denke an den früheren Erzbischof, von Köln, Kardinal Höffner. Manches, was er damals gesagt hat in unsere gesellschaftliche Situation hinein, habe ich immer wieder verstanden als so einen Wächterruf, gleichsam wie ein Frühwarnsystem: Wenn ihr in der Bundesrepublik auf diesem Weg weitergeht, dann geht ihr in die Irre, dann wird euch Zerstörung treffen, dann geht die Gesellschaft kaputt. Ein Stückchen davon erleben wir heute. Ob es sich nicht wirklich lohnen würde, sehr wach zu sein, wo solche Wächterrufe uns heute warnen, dass wir auf dem falschen Weg sind - und wir sind heute weitgehend auf einem falschen Weg.

 

Aber dieser Ruf an Ezechiel: „Menschensohn, ich habe dich zum Wächter bestellt“, der ist ein sehr ernster Ruf auch für den Propheten selbst. Gott sagt ihm nämlich: Wenn du die Leute nicht warnst vor ihrem falschen Weg, wenn du nur einfach sagst, „ich habe nichts gehört, ich weiß von nichts. Lass die Leute so weiter laufen“, dann werde ich den Menschen, der schuldig geworden ist, bestrafen, ich werde ihn mit dem Tod bestrafen. Aber sein Blut fordere ich aus deiner Hand.

Es ist nicht egal, ob wir in der Kirche das Wächteramt ausüben. Und manchmal macht mir selbst so ein Text dann auch Sorgen, mir als Verkündiger, ob wir wirklich dieses Wächteramt ausüben, oder ob wir nicht vielleicht sehr viel Belangloses reden in unseren Predigten, was schön anzuhören ist. Und wir weisen die Menschen nicht mehr darauf hin, wie ernst es ist.

Eine meiner tiefsten Nöte, die ich als Priester habe, ist die (ein bisschen bildlich gesprochen), dass ich später einmal am Himmelstor sitze, und dann kommen die Menschen alle und sie sagen: „Du hast es gewusst. Warum hast du uns nicht gewarnt? Warum hast du uns nichts davon gesagt? Wenn du uns gesagt hättest, dass es ernst ist in dieser Welt, dass wir uns nicht so einfach über die Gebote Gottes hinwegsetzen dürfen, dann hätten wir uns bekehrt. Warum hast du uns nichts gesagt?“ Das ist schon manchmal wie eine Last auf meinem Herzen, wenn ich die Bibel lese, besonders die Propheten lese, und wenn ich die Botschaft der Propheten konfrontiere mit unserer Wirklichkeit, mit unserer Welt heute. „Menschensohn, wenn du den Schuldigen nicht warnst, dann werde ich aus deiner Hand sein Blut fordern. Gut, der Betreffende wird wegen seiner Schuld sterben. Aber die Verantwortung dafür, die hast du.“

Einer meiner Vorbilder als Verkündiger ist ein evangelischer Pfarrer gewesen in Essen, Wilhelm Busch. Der hat nichts zu tun mit „Max und Moritz“, der war Jugendpfarrer in Essen bis 1967. Der hat einmal auf die Frage, was den jungen Predigern heute am meisten fehlt, geantwortet: Die Angst das auch Menschen verloren gehen können.

Wir haben eine frohe Botschaft zu verkünden, es bleibt dabei, aber diese frohe Botschaft ist nicht eine lustige Botschaft, nicht eine nette Botschaft, sondern sie ist und bleibt eine ernste Botschaft. „Menschensohn, ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter. Wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, musst du sie vor mir warnen.“

In unserer Welt bauen wir heute für alle möglichen Unheilssituationen Frühwarnsysteme,  in allen Bereichen, damit die Menschen nicht blind in eine Katastrophe hineinlaufen. Ob das bei Flugzeugen ist, ob das beim Wetter ist, ob das bei Erdbeben ist, immer wieder versucht man Frühwarnsysteme aufzubauen, mit mehr oder weniger großem Erfolg.

Wir brauchen aber auch ein geistliches Frühwarnsystem, und wir brauchen Melder, wie so ein Wächter, der dieses System dann trägt. „Menschensohn, ich gebe dich dem  Haus Israel als Wächter. Wenn du ein Wort aus meinem Mund hörst, musst du sie vor mir warnen.“

 

Ich komme noch einmal auf den Anfang zurück, was mir so viel Not gemacht hat: Ist unser Gott ein Gott, vor dem man warnen muss? Ja, weil es Ernst ist! Und doch ist diese Übersetzung in der Einheitsübersetzung falsch. Gerade weil es mich so getroffen hat, habe ich in verschiedenen anderen  Bibelübersetzungen einmal nachgeschaut und auch im hebräischen Text. Wörtlich muss es anders heißen, nicht: „Du musst sie vor mir warnen“, sondern: Du musst sie von mir aus, in meinem Namen warnen. Gott ist nicht ein Gott, vor dem man warnen muss. Gott ist ein Gott, in dessen Namen man warnen muss. Wichtig ist: Es darf der Botschaft des Neuen und des Alten Testamentes nichts von ihrem Ernst genommen werden.

Von daher betrachtet ist es eigentlich gut, das so eine Übersetzung Anstoß erregt, anstößt, einen Prozess in Bewegung bringt, dass wir uns aufrütteln lassen vom geistlichen Frühwarnsystem Gottes.  Amen.

 

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Predigttext:    Röm 13,8-10

 

Predigt im MP3 Format

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Vielleicht kennen Sie alle diese etwas resignierende Redensart: „Das ist ja ein Fass ohne Boden.“ Wie oft gebrauchen wir diese Redensart in unserer Welt: „Das ist ja ein Fass ohne Boden.“

Da ist ein Familienangehöriger vielleicht in eine Schuldenfalle geraten. Die Familie unterstützt ihn, aber irgendwann kommen sie zu der Erkenntnis: Das ist ja ein Fass ohne Boden. Und dann stellen sie die Unterstützung vielleicht ein.

Da steht ein Großkonzern in der Wirtschaft vor dem Konkurs. Die Banken überlegen, wie sie ein Sanierungskonzept erarbeiten können. Aber dann kommt man zu dem Ergebnis: So ein Konzern ist nicht mehr zu retten. Wenn wir da noch Geld hineinstecken, das ist ein Fass ohne Boden. Und dann ziehen sie sich zurück. Der Betreib meldet Konkurs an, Tausende von Arbeitern stehen auf der Straße. Das ist ja ein Fass ohne Boden.

 

Genau das könnte man als Überschrift schreiben über diesen Abschnitt aus dem 13. Kapitel des Römerbriefes. Da schreibt Paulus über die Liebe: „Bleibt niemand etwas schuldig, nur die gegenseitige Liebe die schuldet ihr einander immer.“ Da könnte man auch sagen: Das ist ja ein Fass ohne Boden.

Aber eines ist hier anders. Wenn wir hier davon sprechen, das ist ein Fass ohne Boden, dann geht es nicht darum, sich zurückzuziehen, die Zahlungen einzustellen. Paulus sagt vielmehr positiv: Jawohl, die Liebe ist ein Fass ohne Boden, die bleibt ihr einander immer schuldig, damit kommt ihr nie an ein Ende. Das muss so sein, das ist das Wesen der Liebe, dass sie ein Fass ohne Boden ist.

Dieser Abschnitt aus dem 13. Kapitel des Römerbriefes ist nicht so ganz einfach zu verstehen. Da kommen viele Ausdrücke vor, die bei Paulus sehr gewichtig sind: zum Beispiel der Ausdruck ‚Gesetz’. „Die Erfüllung des Gesetzes, die Vollendung des Gesetzes ist die Liebe.“

Wir haben nicht die Zeit, diesen Abschnitt aus dem Römerbrief darauf hin abzuklopfen was Paulus damit meint: „Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes.“ Ich möchte in dieser Predigt nur einige Merkmale, die Paulus an anderen Stellen über die Liebe schreibt, mit diesem Abschnitt zusammen koppeln. Vielleicht entdecken wir dann neu, was es mit diesem ‚Fass ohne Boden’ auf sich hat.

Ich möchte als Ergänzung zunächst den berühmten Text lesen aus dem 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes da schreibt Paulus über die Liebe:

 

„Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts. Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“ (1 Kor 13,1-8a)

 

Das tiefste Wesen der Liebe lässt sich nur beschreiben mit Ausdrücken der Fülle, eben „ein Fass ohne Boden“. Da bleibst du immer Schuldner; die Liebe hört niemals auf. Und dass diese Liebe niemals aufhört, hat ihren tiefsten Grund darin, dass das göttliche Wesen im Tiefsten die Liebe ist, Fülle der Liebe ist.

Im Römerbrief im 8. Kapitel, das ist für mich gleichsam der Höhepunkt des gesamten Römerbriefes, da  schreibt Paulus:

 

„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? In der Schrift steht: Um deinetwillen sind wir den ganzen Tag dem Tod ausgesetzt; wir werden behandelt wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat.

Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Röm 8,35-39)

 

Das heißt mit anderen Worten: Nichts, aber auch gar nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Gott wird niemals aufhören, uns zu lieben. Die göttliche Liebe ist im buchstäblichen Sinne ein „Fass ohne Boden“, eine Quelle, die niemals versiegt. Es kann mit uns geschehen was will, Gott wird nicht aufhören, uns zu lieben. Er ist in seiner Liebe zu uns im buchstäblichen Sinne maßlos, ein „Fass ohne Boden“.

Dabei ist so egal, ob wir gut sind oder ob wir heruntergekommen sind. Paulus schreibt im 5. Kapitel des Römerbriefes (Vers 8): „Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ Als nichts Liebenswertes mehr an uns war, da ist die Liebe Gottes erst richtig zum Durchbruch gekommen.

Und dann schreibt Paulus ein ganz großes Wort im 5. Kapitel des Römerbriefes: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ (Vers 5)

 

Es ist nicht menschliche Liebe, die ein Fass ohne Boden ist, sondern es ist diese göttliche Liebe, die ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist. Das heißt aber mit anderen Worten dann auch: Wenn ich merke, dass es mir an Liebe mangelt, wenn ich - menschlich gesehen - geneigt bin zu sagen: „Jetzt reicht es aber!“ Wenn der Andere mir immer wieder quer gekommen ist: „Jetzt reicht es aber!“ Wenn ich dann in meinem Herzen keine Liebe mehr für den Anderen habe, dann darf ich hingehen und darf mir bewusst machen: Gott wird niemals so von mir denken. Gott wird niemals zu mir sagen: „Jetzt reicht es aber!“  

In dem Maß, wie ich diese grenzenlose göttliche Liebe in mein Herz hineinlasse durch den Heiligen Geist, in dem Maß habe ich Teil an dieser göttlichen Liebe, die maßlos ist. Und in dem Maß kann ich dann auch diese grenzenlose Liebe weiterschenken, kann ich das leben, was Paulus in unserer Lesung sagt: „Die Erfüllung des ganzen Gesetzes ist die Liebe.“

 

Ich will noch einmal auf das Bild vom Anfang zurück kommen, vom Fass ohne Boden. Das hat bei uns in der Redensart ja immer einen negativen Beigeschmack nach dem Motto: „Jetzt reicht es aber!“

Ich möchte dagegen ein anderes Bild setzen, das Bild von einem Überlaufgefäß. Wenn Du einen Brunnen hast, einen Überlaufbrunnen, dann ist der erst selber ganz voll; und dann läuft es nach allen Seiten über.

Lass dich selbst ganz anfüllen von der Liebe Gottes, dass du ‚randvoll’ bist; und dann lass diese Liebe weiterströmen in alle Richtungen. Dann wirst du merken: Diese göttliche Liebe ist ohne Maß, sie erfüllt Dich selbst ganz. Und durch Dich hindurch, und über dich hinaus, fließt sie zu allen anderen Menschen, mit denen Du Kontakt hast.  Amen.

 

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Predigttext:    Mt 18,15-20

 

Predigt im MP3 Format

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Lesung und Evangelium dieses Sonntags haben für uns eine ganz heikle Botschaft. Und doch entscheidet sich an dieser Frage unsere Glaubwürdigkeit als Gemeinde Jesu Christi. Es geht um die Frage: Wie gehen wir als Gemeinde, als Christen mit Menschen um, die in Sünde gefallen sind, oder die vielleicht ganz offensichtlich in schwerer Schuld leben? Wie gehen wir dann als Gemeinde, als Glieder des Leibes Christi damit um?

Es gibt bei uns in unserer Gesellschaft einige Verhaltensmuster, wie man normalerweise damit umgeht. Ich will zwei davon nennen: Erste Methode, die meistens gebraucht wird: Augen zu, Ohren zu, „mein Name ist Hase; ich weiß von nichts“, bloß nichts sagen.

Da ist z.B. ein Fest, und da lässt sich einer bis zum Kragen mit Alkohol voll laufen. Und dann setzt sich ins Auto und fährt mit dem Auto nach Hause. Keiner hat etwas gesehen, ganz davon zu schweigen, dass einer zu dem hingeht und sagt: „“Hör mal, so kannst du doch nicht mehr fahren.“

Oder da kommt es vor, dass in einer Gemeinde ein verheirateter Mann, eine verheiratete Frau mit einem anderen Partner ein Verhältnis anfängt, in einem offenen Ehebruch lebt. Aber kein Mensch hat etwas gesehen; und kein Mensch geht hin und sagt den Betreffenden etwas. Da kann man sich ja nur den Mund verbrennen; da kann man sich ja nur die Hände schmutzig machen. Besser Augen zu und Ohren zu. Außerdem, jeder ist ja schließlich für sich selbst verantwortlich.

Aber das stimmt nicht. Gott sagt heute in der Lesung aus dem Propheten Ezechiel: Du bist verantwortlich. Ich habe dich zum Wächter bestellt über deine Schwester, über deinen Bruder. Und wenn du siehst, dass jemand offenkundig in Sünde lebt und du gehst nicht hin, und ermahnst ihn nicht, dann wird der Betreffende wegen seiner Sünde vielleicht sterben. Aber Rechenschaft, sagt Gott, fordere ich von dir, weil du nicht hingegangen bist und ihn gewarnt hast.

Du kannst nicht sagen: „Bin ich denn der Hüter meines Bruders?“, wie es schon bei Kain und Abel hieß. Doch, du bist der Hüter deines Bruders. Wir sind verantwortlich füreinander. Das unterscheidet uns von einem Kaninchenzuchtverein oder irgendeinem Kegelclub. Wir sind Gemeinde Jesu Christi, wir sind Glieder eines Leibes, und wir sind füreinander verantwortlich.

Wenn wir das ganze einmal von der anderen Seite aufzäumen, dann gilt auch das Umgekehrte:

Jedes Gemeindemitglied, jeder Christ, hat auch von Gott her gesehen ein Recht darauf, dass er zurechtgewiesen wird, wenn er in Schuld fällt. Keiner von uns kann sich da ja freisprechen, weder wir Priester noch jedes Gemeindemitglied. Jeder von uns fällt in Schuld, und manchmal merkt man ja gar nicht, wenn man die Weichen falsch stellt. Da schliddert man in schuldhafte Verstrickungen und dann weiß man nicht mehr, wie man herauskommen soll. Und dann haben wir ein Recht darauf, dass ein anderer, der das sieht, uns zurechtweist und uns sagt: Du bist auf dem falschen Weg.

Das ist der Dienst der brüderlichen, der geschwisterlichen Zurechtweisung, den wir einander zu tun haben.

Ich kann ihnen aber auch sagen, es gibt noch eine zweite Methode, die wir meistens anwenden. Die ist besonders im ländlichen Bereich sehr oft verbreitet, da wird nämlich dann getratscht.

Da hat dir irgendjemand etwas erzählt, natürlich im Vertrauen, das ist klar. Aber glaube mir, spätestens nach einem Monat hat im Dorf jeder mit jedem darüber gesprochen. Nur mit dem Betreffenden selber hat keiner gesprochen. Vielleicht ist er der einzige, mit dem keiner gesprochen hat. Sonst ist mit allen darüber gesprochen worden, immer unter dem Siegel der Verschwiegenheit natürlich.

Glaub mir, nichts zerstört und zersetzt das Leben in einer Gemeinde, übrigens auch das normale menschliche Zusammenleben, so sehr wie solcher Tratsch. Und keiner geht zu dem Betreffenden hin und spricht ihn selber einmal an.

Ich kann Ihnen auch sagen, warum das so ist. Sehen Sie, tratschen kostet nichts, überhaupt nichts. Aber wenn du hingehst zu dem Betreffenden und mit ihm sprichst, da musst du schon eine Persönlichkeit sein. Das fordert viel Taktgefühl, das erfordert viel Mut; da gehört ein gestandener Mann oder eine gestandene Frau dazu. Aber um zu tratschen, da braucht es nur ein loses Mundwerk, mehr nicht. Wir haben so wenig Persönlichkeiten, die dann hingehen, statt zu tratschen.

 

Jesus hat im Evangelium ganz klare Richtlinien gegeben, wie wir mit so einem Fall umgehen sollen:

Wenn du siehst, dass dein Bruder auf einem falschen Weg ist, dann gehe hin und stelle ihn unter vier Augen zur Rede. Vielleicht gewinnst du ihn ja.

Hört er nicht auf dich - Jesus geht Schritt für Schritt weiter - dann nimm noch einen anderen mit, denn es sind ja zwei Zeugen notwendig. Hört er auch auf die beiden nicht, sagt Jesus, dann sage es der Gemeinde.

Aha, also dann doch veröffentlichen am schwarzen Brett oder so. Nein, das ist nicht gemeint! Wir müssen immer wissen: Als Matthäus sein Evangelium schreibt, da waren die Gemeinden so klein, dass die sich in einem Haus treffen konnten, vielleicht zwanzig bis dreißig Leute. Heute, in unseren Großgemeinden würde Jesus vielleicht in diesem Fall nicht auffordern: Sagt es der Gemeinde, sondern: Sag es dem Pfarrgemeinderat oder dem Vorstand des Pfarrgemeinderates oder dem Kirchenvorstand oder den Verantwortlichen, dass die als Gemeindevertreter hingehen und sich um die Sache kümmern.

Hört er auch auf die Gemeinde nicht, sagt Jesus, - und jetzt kommt ein ganz hartes Wort, dann sei er für dich wie ein Heide oder wie ein Zöllner, das heißt: Dann ist er draußen. Es gibt diese Möglichkeit dass sich jemand in Sünde so sehr verhärtet, dass er draußen steht, dass er nicht mehr berechtigt ist, den Bruder- oder Schwesternamen in der Gemeinde zu tragen.

Aber damit das jetzt nicht missverstanden wird, muss man eins aus den Evangelien dabei mitsehen: Gerade den Zöllnern, den Heiden und Sündern hat die ganz besondere Aufmerksamkeit Jesu gegolten. Gerade denen ist er nachgegangen.

Sie kennen das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Der Hirte geht ihm nach bis er es findet, und er lässt die neunundneunzig in der Kirche und geht dem einen verlorenen Schaf nach. Wenn einer wirklich draußen steht, dann heißt das nicht: Der ist abgeschrieben, um den brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern. Nein, ganz im Gegenteil! Gerade der braucht dann die Sorge, die liebende Sorge der Gemeinde, das Nachgehen mit viel Geduld und Taktgefühl. Das muss man immer im Hinterkopf haben, sonst wird so ein Wort aus dem Munde Jesu falsch verstanden.

Jesus sagt ganz präzise in unserem Evangelium zweimal: Entscheidend in unserem Umgang mit Sündern in der Gemeinde ist die Herzenseinstellung, die wir haben. Es darf nicht darum gehen, dem anderen eins auszuwischen. Es darf auch nicht darum gehen, alte Rechnungen zu begleichen: „Der hat mir ja vor vier Jahren auch mal, und darum will ich ihm jetzt mal auf den Putz klopfen.“ Nein, Jesus sagt zweimal ganz deutlich: Es geht darum, den anderen zu gewinnen, und nicht darum, ihn runterzuputzen, auch nicht darum, mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Das muss die Herzenshaltung sein, die wir einem Sünder gegenüber haben, der gefallen ist: dass wir ihn gewinnen wollen mit einer ganz großen Liebe, und ihn nicht abstempeln. Das ist das Ziel.

Der Apostel Paulus hat im Galaterbrief einmal geschrieben: „Wenn einer von euch auf einem Fehltritt angetroffen wird, dann bringt ihr, als die Geisterfüllten, ihn im Geist der Liebe und der Sanftmut auf den rechten Weg.“ Und da steht ein Wort noch dabei: „Jeder prüfe dann sein eigenes Tun, und dann hast du keinen Grund mehr auf den anderen zu zeigen.“ Wir haben ja das Sprichwort bei uns: ‚Jeder kehre vor seiner eigenen Türe.’ Jeder von uns, sagt Paulus. Und ich habe als Priester gemerkt, dass auch ich zu jeder Sünde fähig bin. Ich habe keinen Grund, auf irgend einen anderen mit dem Finger zu zeigen, wenn ich wirklich vor seiner eigenen Türe mal kehre.

Wenn wir dafür ein Beispiel brauchen aus dem Leben Jesu, dann schau dir einmal an, wie Jesus mit der Ehebrecherin umgegangen ist, die auf frischer Tat ertappt worden war. Ja, Jesus nennt Sünde beim Namen, er sagt nicht: „Wir wollen das nicht so eng sehen.“ Er sagt am Ende ganz präzise: „Geh, und sündige von jetzt an nicht mehr.“ Da wird nichts unter den Teppich gekehrt. Und als die Leute dann kommen und sagen: „Es steht aber in der Bibel drin, dass so eine Frau, die man auf frischer Tat ertappt hat, gesteinigt werden muss, getötet werden muss durch Steinigung.“ Da sagt Jesus ganz eindeutig: „Jawohl! Steine werfen! Das ist richtig. Wir können das Wort Gottes nicht außer Kraft setzen. Aber (und jetzt kommt wieder dieses „Jeder prüfe sein eigenes Tun“), wer von euch ohne Sünde ist der soll den ersten Stein werfen.“ Und dann war auf einmal keiner mehr da, der Steine werfen wollte.

Wenn jeder vor seiner eigenen Tür kehrt, dann wird keiner mehr Steine werfen.

Dann sagt Jesus zu der Frau: „Hat dich keiner verurteilt?“ Alle waren sie weggegangen. „Ich verurteile dich auch nicht.“ Und damit gewinnt er sie wieder zurück. Das ist das Ziel.

Am Ende des Evangeliums heute seht der Satz, den wir auch als Lied oft singen: „Wo Zwei oder Drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Das singen wir. Vielleicht glauben wir das auch. Aber wenn wir ehrlich sind: Man spürt so wenig davon, man merkt so wenig davon, dass ER wirklich in unserer Mitte ist.

Könnte es sein, dass das daran liegt, weil wir mit dem ersten Teil des Evangeliums, mit der brüderlichen Zurechtweisung, nicht ernst machen?   Amen.

 

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