Pfarrer Karl Sendker

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24. Sonntag A
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Predigt zum Evangelium:   Mt 18,21-35

Predigttext:    Mt 18,21-35

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Je länger ich mich in dieses Evangelium hinein vertieft habe, umso mehr ist mir aufgegangen: die Botschaft dieses Evangeliums ist eigentlich das Zentrum, die Mitte unserer Verkündigung und unseres priesterlichen Dienstes. Es geht um das Stichwort Vergebung.

Ein Erstes:

Das Stichwort Vergebung besagt zunächst einmal: Gott ist bereit, den Menschen bedingungslos zu vergeben, ganz gleich, wie groß seine Schuld auch sein mag. Sehen Sie, hier im Evangelium, in diesem Gleichnis, da geht es um einen Mann, der seinem Herrn zehntausend Talente schuldig war. Wir ahnen ja heute gar nicht, was zehntausend Talente sind, das ist etwa eine Summe von vielleicht fünfzig Millionen Euro, unvorstellbar groß. Damals hat man gesagt: das Jahreseinkommen von König Herodes von zehn Jahren, das betrug rund zehntausend Talente. Zehntausend Talente Schuld, das ist im buchstäblichen Sinn eine unwahrscheinlich große Summe.

Und was macht dieser Diener, als er nicht zurückzahlen kann? Er bittet darum, dass das Geld gestundet wird. „Hab Geduld mit mir; ich werde dir alles bezahlen“. Aber wer kann denn schon fünzig Millionen Euro zurückzahlen? Und was macht der Herr? Er stundet nicht nur die Schuld, er erlässt ihm die Schuld bedingungslos.

Wenn wir einmal einen Blick in unsere Welt hinein werfen. Wie viel Schulden gibt es in unserer Welt, gerade auch in den Ländern der dritten Welt? Und ein Stichwort, das in der Wirtschaft und in der Politik seit Jahren diskutiert wird, heißt „Schuldenerlass“. Was meinen Sie, was ein Land wie Mexiko oder jetzt Argentinien glücklich wäre, wenn die Gläubiger sagen würden: Schuldenerlass, die Schulden sind dir nicht nur gestundet, sondern sie sind dir erlassen.

Und hier mit diesem Gleichnis bietet uns Gott bedingungslos Schuldenerlass an; das heißt: eine neue Chance, eine neue Lebenschance. Du kommst nicht ins Gefängnis, du wirst nicht verurteilt, dich trifft nicht einmal ein Vorwurf. Sondern einfach nur Schuldenerlass.

Und wenn wir ins Leben Jesu hinein schauen, dann achten Sie mal darauf, wie Jesus den Menschen Schuldenerlass gewährt hat. Ich denke an die Ehebrecherin. Die anderen wollten sie töten durch Steinigung, das steht ja sogar im Gesetz Gottes. Und Jesus sagt ihr: „Hat dich keiner verurteilt? Ich verurteile dich auch nicht. Gehe hin und sündige von jetzt an nicht mehr.“

Schauen Sie sich die Hure an, die sich zu Jesu Füßen ausweint und seine Füße salbt. Alle haben sie mit dem Finger auf diese Frau gezeigt. Simon, der Pharisäer sagt: „Wenn der da wüsste, was das für eine Frau ist ...“ Aber Jesus sieht die Not, die sich mit der Liebe im Herzen dieser Frau verquickt. Er schenkt dieser Frau nicht nur Schuldenerlass, sondern eine neue Würde.

Denken Sie an einen Mann wie den Petrus. Der hat eine große Klappe gehabt: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, ich werde dich nicht verleugnen!“ Einige Stunden später sitzt da ein einfaches Dienstmädchen am Feuer, und Petrus schwört dreimal: „Ich kenne den überhaupt nicht.“ Und dann schaut ihn Jesus mit einem Blick der Liebe an. Und in dem Augenblick spürt Petrus: Schuldenerlass!. Er kann es fast nicht mehr aushalten; er geht hinaus und fängt bitterlich an zu weinen.

Ein Apostel Paulus, der die Kirche, der Christus verfolgt hatte bis zum Äußersten, er erfährt: „Mich, den Allerunwürdigsten hat er berufen!“ Und er wird bis zum Ende seines Lebens nicht müde, diese Barmherzigkeit Gottes, die ihm Schuldenerlass gewährt hat, zu rühmen und zu preisen.

 

Schwestern und Brüder, wir alle werden schuldig vor Gott und voreinander. Und wenn wir das heute nicht mehr wahrhaben wollen, dann lügen wir uns in die eigene Tasche. Aber eins gilt: Sollte die Schuld noch so groß sein: Es gibt bedingungslos Schuldenerlass. Du brauchst nichts zurückzahlen, und wenn die Schuld noch so groß ist. Jesus sagt Dir: „Vergeben, bedingungslos vergeben!“ Und sehen Sie, wenn wir einmal Johannes den Täufer nehmen, der wird ja oft dargestellt mit einem überlangen Zeigefinger. Der Mittelpunkt der Botschaft Johannes’ des Täufers war das, was der Priester in jeder heiligen Messe vor der Kommunion sagt: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ Und wenn ich als Priester in der Gemeinde eins tun möchte, dann dies: immer wieder hinweisen auf Jesus Christus, der mit seinem Leben deine Schuld bezahlt hat und der dir Schuldenerlass gewährt hat, bedingungslos. Das ist der Mittelpunkt.

 

Ein Zweites:

Wenn wir in den Mittelpunkt rücken, dass es bei Gott Vergebung und Schuldenerlass gibt, dann gilt auch ein Zweites (und da liegt eine große Not in unserer Gesellschaft heute): dass wir alle untereinander davon leben, dass wir uns gegenseitig vergeben.

Wir leben heute in einer Gesellschaft, und es ist furchtbar das zu beobachten, wo der eine dem anderen die Klamotten hinschmeißt und sagt: „Ich mach nicht mehr!“ Da schmeißen Kinder den Eltern die Klamotten hin, wenn sie heranwachsen, und ziehen aus dem Haus aus. Da schmeißen sich Eheleute einander die Klamotten hin, wenn sie aneinander schuldig geworden sind, und sie halten es nicht mehr miteinander aus und trennen sich. Da schmeißt ein Gemeindemitglied, das sehr aktiv ist, dem Pfarrer die Klamotten hin, weil der Pfarrer irgendwann bei einer Ehrung diese Person übergangen hat. Da schmeißen die Kirchenmitglieder die Klamotten hin, treten aus der Kirche aus, weil ihnen der Pfarrer irgendwann mal quer gekommen ist. Ich kann mich erinnern: Ich habe bei Hausbesuchen einmal eine Familie besucht. „Zur Kirche gehen wir nicht mehr“, haben sie mir gesagt. Ich fragte: „Wieso denn nicht?“ Und dann kam sie damit heraus: Irgendwann vor Jahren hatten sie mal mit dem damaligen Pfarrer Probleme gehabt. Da hat er denen mal auf die Füße getreten. Da gehen sie jetzt seit Jahren aus diesem Grund nicht mehr zur Kirche. Haben die Klamotten hingeschmissen, auch wenn sie nicht aus der Kirche ausgetreten waren.

Aber es gibt auch das Umgekehrte: Dass Priester, dass Pfarrer die Klamotten hinschmeißen, ihr Amt aufgeben, weil sie mit der Gemeinde nicht mehr klarkommen. „Macht doch euern Kram alleine!“ Das gibt es auch.

Und wissen Sie, was ganz oft im Hintergrund steht, wenn man sich die Klamotten hinschmeißt: die Unfähigkeit, einander zu vergeben, wo wir schuldig geworden sind. Nur dann, wenn ich in der Lage bin, von einem anderen das Wort der Vergebung zu hören „Ich verzeihe dir!“, dann wird mir eine neue Chance gegeben, wenn ich schuldig geworden bin. Und ich kann ganz offen sagen: Auch als Pfarrer lebe ich davon, dass die Gemeinde mir vergibt. Ich werde auch schuldig an der Gemeinde. Ich bleibe der Gemeinde manche Dinge schuldig, das weiß ich. Nicht aus böser Absicht, aber es ist Schuld. Und erst dann, wenn wir es lernen, einander zu vergeben, die Gemeinde dem Pfarrer, der Pfarrer der Gemeinde, wir als Gemeinde untereinander, erst dann eröffnen wir uns eine neue Chance; erst da beginnt ein neuer Anfang.

Heute werden zu viele Menschen in die Ecke gedrängt durch ihre Schuld, weil so wenig Worte der Vergebung gesprochen werden. Wir alle sind angewiesen untereinander auf dieses Wort der Vergebung.

 

Ein Drittes:

Ich möchte einmal kurz die Folterknechte zu sprechen kommen. Da heißt es ja, als dieser andere Knecht, der lumpige fünfzig Euro schuldig war und nicht zahlen konnte, da hat der, dem der Herr Millionen erlassen hat, ihn gewürgt und ihn ins Gefängnis werfen lassen. Und dann heißt es: Der Herr übergab den unbarmherzigen Knecht in seinem Zorn den Folterknechten bis er die ganze Schuld bezahlt hatte. „Und so wird mein Vater euch behandeln“, sagt Jesus. Was ist das eigentlich mit den Folterknechten?

Früher habe ich immer gedacht, das ist ein bildhafter Ausdruck, ein bisschen drastisch ausgemalt. Heute weiß ich etwas davon, wer diese Folterknecht sind. Die sind ganz real. Diese Folterknechte machen uns das Leben kaputt in dem Augenblick, wo wir nicht bereit sind zu vergeben.

Ich will dafür ein Beispiel sagen. In den Jahren 1958-1960 habe ich als Schüler in den Sommerferien auf einem Bauernhof bei der Ernte geholfen. Es war eine wunderschöne Zeit. Auf diesem Hof war eine herzliche, familiäre Atmosphäre. Ich habe mich richtig wohl gefühlt. Deswegen bin ich in jeden Sommerferien hingegangen. Aber der Bauer hatte Streit mit seinem Nachbarn. Im Münsterland liegen die Bauernhöfe etwa auseinander. Und jetzt war Folgendes. Auf dem Nachbarhof wurde Hochzeit gefeiert. Der Sohn, der den Hof übernehmen sollte, heiratete. „Unser“ Hof war zur Hochzeitsfeier eingeladen. Aber man redete ja nicht miteinander. Irgendwann vor zwei Generationen waren da Grenzstreitigkeiten gewesen. Da hatte der eine der anderen übers Ohr gehauen. Keiner wusste mehr ganz genau, wie das damals gewesen war. Aber seitdem war der Faden abgeschnitten; man redete nicht mehr miteinander. Und jetzt war auf dem Nachbarhof Hochzeit. Wir waren eingeladen; die Braut war extra rübergekommen und hatte gesagt: „Jetzt lasst uns doch einen Schlussstrich ziehen und wieder gemeinsame Sache machen. Ihr seid zur Hochzeit eingeladen.“ Aber man hat ja seine Prinzipien als Bauer im Münsterland. Man hat ja seine Grundsätze. Also gingen wir da nicht hin.

Und jetzt kommen die Folterknechte: Wir saßen auf dem Hof und haben gehört, wie der Nachbarhof gefeiert hat, mit Musik und Tanz und Gesang, mehrere Tage lang, wie es im Münsterland so üblich war. Wir konnten uns einfach nicht mitfreuen. Die Freude der anderen wurde auf einmal zu unseren Folterknechten. Es war eines so giftige Atmosphäre bei uns. Sobald einer ein falsches Wort sagte, wurde er sofort angegiftet. Das sind die Folterknechte.

Ich glaube, eins vergessen wir manchmal: In dem Augenblick, wo wir nicht bereit sind zu vergeben, da wird die Freude des anderen unser Folterknecht, so dass wir auf einmal wie in einem Käfig sitzen, aus dem wir nicht heraus können.

Ich habe das noch ein anderes mal erlebt, als Kind. Ich war früher wenn wir gespielt haben , z.B. „Mensch ärgere dich nicht“, ein sehr schlechter Verlierer. Und ich kann mich erinnern, einmal haben wir auch ‚Mensch ärgere dich nicht’ gespielt, und als ich gemerkt habe, dass meine Männchen immer rausgeschmissen wurden, da habe ich dann vor Wut alles beiseite gefegt, und das Spiel war zu Ende. Mein Vater hat dann gesagt: „Jetzt gehst du auf dein Zimmer!“ Ich bin auf mein Zimmer gegangen und war richtig sauer, Ich war nicht sauer auf die anderen, ich war sauer auf mich. Die anderen haben unten weitergespielt, die haben gejuchzt und haben sich gefreut. Und ich saß oben. Ich hätte bloß runtergehen müssen und sagen: Es tut mit leid. Aber ich bin nicht runtergegangen. Das sind so Folterknechte. Ich habe da oben gesessen vor lauter Wut, weil ich sauer war auf mich selber.

Wir alle leben vom Vergeben, aber die mangelnde Vergebungsbereitschaft macht das Leben kaputt.

 

Was ist denn die Alternative zum Vergeben? Die Alternative heißt: dass ich dem anderen etwas nachtrage. Aber überlegen Sie einmal, die deutschen Wörter sind manchmal verräterisch: Da ist der andere schuldig geworden. Eigentlich der hat die Last zu tragen. Aber ich trage ihm seine Schuld nach, weil ich ihm nicht vergebe. Das heißt nachtragen. Seine Last trage ich auf meinem Buckel, weil ich nicht vergeben will, weil ich ihm seine Schuld nachtrage. Es ist Unsinn, nachtragend zu sein.

Und wenn wir dieses Evangelium heute, diese Botschaft von der Vergebung Gottes und von der Vergebung der Menschen untereinander, auf einen Punkt bringen, und damit schließe ich, dann heißt dieser Punkt nicht: „Wie du mir, so ich dir“, sondern: „Wie Gott mir, so ich dir.“ Und ich denke wir alle so miteinander umgehen, dann wird es ein echtes Miteinander: Wie Gott uns so wir untereinander.   Amen.

 

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