Pfarrer Karl Sendker

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31. Sonntag C
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Predigt zur 1. Lesung:  Weish 11,22 – 12,2

Predigt zum Evangelium:   Lk 19,1-10         mp3 Format

Predigttext:    Weish 11,22 – 12,2

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Das Buch der Weisheit ist wohl die späteste Schrift des Alten Testamentes. Sie steht schon ganz nah am Übergang zum Neuen Testament. Und es ist schon beachtlich, welches Gottesbild in diesem Abschnitt aus dem Buch der Weisheit herausleuchtet. Wir haben an diesem Sonntag auch die Geschichte aus dem Lukasevangelium gelesen vom Zollpächter Zachäus. Wie Jesus voller Liebe mit ihm umgegangen ist, wie er ihm begegnet ist, mit ihm Mahl gehalten hat, und wie Zachäus durch diese liebende Begegnung Verwandlung erfahren hat. Was Lukas so in einer Geschichte über die Begegnung des Zachäus mit Jesus berichtet, das wird hier im Buch der Weisheit in einem Gottesbild gleichsam gemalt.

 

Es gibt so viele Leute heute, auch unter den Katholiken, die meinen immer einen Gegensatz konstruieren zu müssen zwischen dem Rachegott des Alten Testamentes und dem liebenden Vater des Neuen Testamentes. Aber wir spüren an ganz vielen Stellen im Alten Testament, und eben auch in dieser Lesung aus dem Buch der Weisheit: Das Alte Testament spricht nicht von einem Rachegott, sondern auch im Alten Testament ist Gott wie ein liebender Vater und wie eine liebende Mutter.

Natürlich hat Gott auch strenge Züge, die hat er im Neuen Testament auch. Aber aufs Ganze gesehen ist auch im Alten Testament unser Gott ein Gott des Erbarmens.

 

Im Mittelpunkt dieser Lesung steht der Satz: „Herr, du Freund des Lebens.“ Das ist eine Bezeichnung für Gott: „Herr, du Freund des Lebens.“

Es ist schon bedeutsam, dass da nicht als seine Aussage steht: „Der Herr ist ein Freund des Lebens.“ Das wäre ja schon viel, dass Gott unser Freund ist, dass er unser Leben will. Im Neuen Testament sagt Jesus: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ Unser Gott ist von Anfang bis Ende ein Freund des Lebens. Aber das von Gott auszusagen, das wäre noch viel zu wenig. Hier ist dieser Satz gekleidet in eine Anrede: „Herr, du Freund des Lebens.“ Zu diesem großen Gott, der ein Freund des Lebens ist, darf ich im Gebet so ganz persönlich Du sagen. Könnte das nicht unser Gebetsleben prägen, wenn das im Tiefsten in unserem Herzen verankert wäre: Der Gott, zu dem ich bete, zu dem darf ich sagen: „Herr, du Freund des Lebens.“

 

Wenn wir an den Anfang unserer Lesung gehen: „Herr, die ganze Welt ist vor dir wie ein Stäubchen auf der Waage, wie ein Trautropfen, der am Morgen zur Erde fällt.“ So unendlich groß ist Gott. Der Prophet Jesaja sagt einmal: „Alle Völker sind vor Gott wie ein Tropfen am Eimer.“ Im Grunde genommen ein Nichts. Und dann überleg einmal: Zu diesem großen Gott darf ich Du sagen: „Du Freund des Lebens.“

 

Unser Gott ist allmächtig. „Du vermagst alles“, heißt es hier. Gott vermag alles. Er hat immer wieder mit seinem starken Arm eingegriffen. Wünschten wir uns nicht heute genau so wie zur Zeit des Alten Testamentes, dass Gott einmal mit starker Hand eingreift, gerade auch angesichts des Unheils, des Bösen, wovon unsere Welt gekennzeichnet ist von Hass, von Terror, von Krieg, von Grausamkeit, von Brutalität. Ist Ihnen das noch nie so ergangen, dass sie manchmal im Herzen gedacht haben: Wenn Gott doch einmal mit der Faust dazwischen hauen würde. Wenn er seine Macht gebrauchen würde, um das Böse zu vernichten.

Aber hier in unserer Lesung ist es genau umgekehrt. Gott gebraucht seine Macht dadurch, dass er mit allem Erbarmen hat. Das Erbarmen Gottes ist nicht ein Kennzeichen dafür, dass Gott schwächlich ist. Gott ist so allmächtig, Gott ist so groß, dass er es sich leisten kann, auch Erbarmen zu haben angesichts des Terrors, des Schreckens, der Grausamkeit in dieser Welt. Gott ist ein Gott des Erbarmens. Und wenn wir einmal vom hebräischen Denken her das Ganze betrachten: Das hebräische Wort für Erbarmen hat vom Wortstamm her etwas zu tun mit dem Wort „Mutterschoß“. So wie man im Mutterschoß geborgen ist, so ist man geborgen im Erbarmen Gottes. Hier ist eine der Stellen im Alten Testament, wo Gott nicht nur väterliche Züge trägt, sondern wo er auch mütterliche Züge trägt.

 

„Du siehst über die Sünden der Menschen hinweg“ in deinem Erbarmen. Aber Gott sieht nicht in der Weise über die Sünden der Menschen hinweg, wie so ein guter Onkel das tut, der alles durchgehen lässt. Wenn ein Kind sich einmal daneben benimmt, dann sagt der Onkel: „Ach lass ihn doch. Ist doch nicht so schlimm.“ So nicht. Gott sieht über die Sünden der Menschen hinweg, „damit sie sich bekehren“. Und wir merken in der Geschichte von Zachäus: Nicht die Drohung mit der Hölle hat die Bekehrung des Zachäus bewirkt, sondern dass Jesus über seine Sünden hinweg gesehen hat, dass er Erbarmen gehabt hat mit diesem Zollpächter, der in seiner Not keinen Ausweg mehr sah. Das hat in dem Zachäus Umkehr, Verwandlung bewirkt. „Du siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren.“ Dahinter steckt auch, dass Gott einen langen Atem mit uns hat.

 

„Du liebst alles, was ist.“ Jeder noch so großer Sünder darf wissen, dass er von Gott geliebt ist. Gott liebt nicht die Sünde, aber er liebt den Sünder. Und Liebe ist die stärkste verwandelnde Kraft in dieser Welt.

Aber Gott hat die Welt nicht nur in seiner Liebe geschaffen, sondern er erhält sie auch. Unser Gott ist nicht ein Schöpfer, der die Welt ins Dasein gerufen hat, und der sich dann zurückgezogen hat in seinen himmlischen Wohnsitz, und jetzt die Welt sich selbst überlässt. Nein, unser Gott ist engagiert. „Wie könnte etwas ohne deinen Willen Bestand haben, oder wie könnte etwas erhalten bleiben, das nicht von dir ins Dasein gerufen wäre.“ Gott kümmert sich um uns. Und die tiefste Weise, wie er sich um diese Welt gekümmert hat, um diese gottlose Welt, ist die Tatsache, dass er seinen eigenen Sohn dahin gegeben hat, wie es im Johannesevangelium heißt, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat, Leben in Fülle.

 

„Du schonst alles“, heißt es hier, „weil es dein Eigentum ist.“ Ja, wir sind Gottes Eigentum. Er betrachtet uns als sein Eigentum. Darum liebt er uns, und darum schont er uns. Jeder Mensch geht mit seinem Eigentum schonend um. Fremde vielleicht nicht mit fremden Eigentum. Aber der Besitzer geht mit seinem Eigentum schonend um. Und Gott ist in dieser Weise unser Besitzer.

 

Und dann heißt es hier weiter in unserer Lesung: „Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist.“ Wir alle, die wir getauft sind, haben in der Taufe den Heiligen Geist empfangen. Und bei der Firmung hat der Bischof uns mit Chrisamöl gesalbt und dabei gesagt: „Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist.“ Wir tragen das Siegel des lebendigen Gottes. Sein Heiliger Geist, mit dem wir versiegelt sind, ist die Garantie dafür, dass Gott uns liebt.

Ich will es einmal mit einem ganz einfachen Beispiel sagen: wenn Sie ein Zwei Euro Stück nehmen. Dann ist dieses Zwei Euro Stück € 2,- wert. Ich kann mir damit einen Gegenwert von € 2,- kaufen. Das Metallscheibchen an sich hat weiß Gott keinen Wert. Aber in dem Augenblick, wo der Staat seinen Prägestempel auf dieses Metallstückchen gesetzt hat, da hat dieses Metallstück den Wert von € 2,-. Wenn jetzt ein Zwei Euro Stück in den Dreck fällt und furchtbar schmutzig geworden ist, dann ist es vielleicht unansehnlich, aber es ist immer noch € 2,- wert. Und wenn ein Zwei Euro Stück vielleicht verbogen ist, so dass es in einen Automaten schon gar nicht mehr hineinpasst, dann ist dieses Metallstück, diese Münze immer noch € 2,- wert, eben weil der Staat seinen Prägestempel darauf gesetzt hat.

Und so ist das mit uns Menschen auch. Nicht nur, dass wir im Ebenbild Gottes geschaffen sind, dass das Bild des lebendigen Gottes aus uns herausleuchtet, nein, Gott hat uns in der Taufe und in der Firmung gleichsam seinen Prägestempel, sein Siegel aufgedrückt: den Heiligen Geist. Und darum sind wir in den Augen Gottes unendlich wertvoll und kostbar.

Und es mag sein, dass wir ganz heruntergekommen sind bis in die Gosse, dass wir schmutzig sind, dass wir hässlich sind wie eine kleine Raupe. Wir tragen das Siegel des lebendigen Gottes. Und darum sind wir in den Augen Gottes wertvoll. Und selbst wenn du verbogen worden bist, durch eine falsche Erziehung, durch ein falsches Gottesbild, das man Dir vermittelt hat, durch falsche Einflüsse von außen, durch eine falsche Umgebung, durch falsche Freunde. Wenn Dein Leben so sehr verbogen ist, so dass Du Dich selbst vielleicht nicht einmal mehr ausstehen kannst, in den Augen Gottes bist Du unendlich wertvoll, weil Gott Dir seinen Prägestempel aufgedrückt hat, sein Siegel, den Heiligen Geist.

 

Denk an diese Würde, die Gott Dir verliehen hat. Und denk daran: Derjenige, der dich aus Liebe geschaffen hat, der will ich auch wieder herstellen, der will Deine Verbogenheit korrigieren, der will Deinen Schmutz abwaschen. Und darum hat er Erbarmen mit Dir, darum hat er Geduld mit Dir. Weil er ein Freund des Lebens ist. Gott will nicht, dass Du in Schmutz weiterlebst. Gott möchte nicht, dass die Verbogenheit Dein Leben weiterhin prägt. Er möchte sie korrigieren. Und darum erinnert er Dich an Deine Sünden. Darum straft er die Sünder nach und nach. Aber er tut es nicht, um sie zu vernichten, sondern damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden und an dich glauben. Das Wort glauben heißt im hebräisch so viel wie: „einen Anker auswerfen, sich in Gott festmachen“. Mach Dich in diesem Gott fest, der ein Freund des Lebens ist, der dir seinen Prägestempel, den Heiligen Geist aufgedrückt hat, in dessen Augen Du unendlich wertvoll und kostbar bist.   Amen.

 

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Predigttext:    Lk 19,1-10

Predigt im mp3 Format

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Aus dem Biologieunterricht in der Schule habe ich im Laufe der Jahre fast alles wieder vergessen. Aber eins ist mir bis auf den heutigen Tag noch ganz lebendig vor Augen: Die Tatsache, dass aus einer kleinen hässlichen Raupe durch ein Zwischenstadium, wo sich diese Raupe verpuppt, schließlich ein wunderbarer, schöner, bunter Schmetterling wird. Am Anfang eine hässliche Raupe, und am Ende dieser wunderbare Schmetterling. Ein Geheimnis der Natur, ein Geheimnis der Verwandlung.

 

So eine Verwandlung von einer ‚hässlichen Raupe’ zu einem ‚wunderbaren schönen Schmetterling’, die ist auch mit einem Mann vonstatten gegangen, den sie wahrscheinlich alle kennen: mit dem Zollpächter Zachäus aus Jericho. Wir wollen uns heute dieses Geheimnis der Verwandlung am Beispiel des Zachäus einmal anschauen. Wir betrachten den Zachäus heute in drei Stationen.

 

Ein Erstes: Zachäus, der Zollpächter.

Wenn wir die Geschichte von Zachäus verstehen wollen, dann müssen wir wenigstens etwas wissen über das römische Zollsystem. Das war nämlich anders als bei uns. Damals war es so, dass der Kaiser in Rom - Rom war ja die Besatzungsmacht in Israel -  die Zollstelle Jericho öffentlich ausschrieb. Da konnte sich jeder bewerben. Und wenn jetzt ein Zachäus den Zuschlag bekommen hatte, dann bedeutete das , dass er dem römischen Kaiser im Voraus für ein Jahr die Steuern zahlen musste. Nehmen wir mal an, 10.000,- Euro. Die musste er im Voraus dem Kaiser auf den Tisch legen. Wie der Zachäus jetzt im Laufe des Jahres dieses Geld wieder reinkriegte, das war dem römischen Kaiser egal. Ob der Zachäus dabei ‚vor die Hunde ging’ oder ob er dabei einen großen Gewinn machte, darum kümmerte sich der Kaiser nicht. Aber in der Regel haben die Zollpächter ihr Schäfchen schon ins Trockene gebracht. Eins allerdings tat der römische Kaiser: Er hat dem Zollpächter, dem Zachäus, Militärgewalt zur Verfügung gestellt. Er konnte Steuern und Zölle notfalls mit Militärgewalt eintreiben.

Aber dieses Steuersystem beinhaltete auch, dass der Zachäus Wucher treiben konnte. Er konnte die Leute, vor allem die Landbevölkerung, nach Strich und Faden ausnehmen. Davon haben die Zollpächter reichlich Gebrauch gemacht. Es gab wohl keinen in Jericho und Umgebung, der nicht unter der Willkür eines Zachäus gelitten hat.

Es mag durchaus sein, das manchmal Land gepfändet wurde, wenn jemand die Steuern nicht zahlen konnte. Und Zachäus war der Urheber. Es konnte sein, dass jemand in die Sklaverei verkauft wurde, wenn er seine Pacht nicht zahlen konnte. Zachäus war der Urheber. Ja, man kann fast sagen, so ein Zollpächter wie der Zachäus war in Jericho einer der am meist gehassten Menschen.

 

Oberster Zollpächter zu sein bedeutete ein Zweifaches: Auf der einen Seite war Zachäus reich, sehr reich, das steht im Evangelium ausdrücklich vermerkt. Und er hatte eine der höchsten Positionen, die man in Jericho erringen konnte. Er hatte Macht.

Aber eins hatte der Zachäus nicht mehr: menschliche Kontakte. Da war keiner in Jericho, der einmal zu Zachäus gesagt hätte: „Zachäus wir wollen mal zusammen essen gehen.“ Da wäre auch kein Vater auf die Idee gekommen, so einem Zollpächter seine Tochter zur Frau zu geben. So ein Zachäus durfte auch nicht mehr am Gottesdienst in der Synagoge teilnehmen. Der war ja Berufssünder, der konnte sich gar nicht mehr bekehren. Nicht umsonst werden in den Evangelien Zöllner und Sünder oft im gleichen Atemzug genannt.

 

Zachäus der Oberzöllner. Glaub mir, wenn ein Mensch keine geglückten sozialen Kontakte mehr hat, dann geht er auf die Dauer ein wie eine Blume ohne Wasser. Zachäus, er war reich, hatte Macht, er hatte eine gehobenen Position in Jericho, aber er hatte praktisch keine Kontakte. Menschlich gesehen war dieser Zollpächter am Ende.

 

Ein Zweites: Zachäus, ein Mensch, der Jesus sucht.

Wir wissen nicht, ob Zachäus schon einmal etwas von Jesus gehört hatte, aber es ist wohl wahrscheinlich. Vielleicht hatte er mitbekommen, dass Jesus in Jericho den blinden Bartimäus geheilt hatte. Vielleicht war ihm zu Ohren gekommen, wie Jesus die Ehebrecherin behandelt hat, die auf frischer Tat ertappt worden war. Vielleicht wusste er, dass Jesus sich um jeden Menschen gekümmert hat, ganz gleich wie tief der runtergesackt war in seinem Leben. Wir wissen nicht im Einzelnen, was Zachäus über Jesus erfahren hatte.

Aber eins kann man sich gut vorstellen: Im Herzen des Zachäus muss ganz tief eine Sehnsucht gewachsen sein: Wenn mit überhaupt noch einer helfen kann aus meiner Misere, aus meiner hoffnungslosen Lage, aus meiner Verlorenheit, dann ist es dieser Jesus. „Ich muss ihn unbedingt sehen!“

Nun kommt dieser Jesus nach Jericho und geht durch die Stadt. Und es brennt im Herzen des Zachäus: Ich muss ihn unbedingt sehen.

 

Normalerweise würde man sich dann einfach an die Strasse stellen, um ihn zu sehen. Aber Zachäus, das steht im Evangelium, war klein von Gestalt, und den haben sie nicht vorne an die Strasse gelassen, den haben sie weggeschoben.

Wenn jemand klein ist und keinen guten Platz am Straßenrand bekommt, dann geht man in Israel normalerweise auf das Dach eines Hauses. Die hatten ja damals flache Dächer, auf denen man laufen konnte. Aber - wer lässt schon einen Zachäus auf sein Dach.

Und so bleibt dem Zachäus nichts anderes übrig, als ein Stück vorauszulaufen und auf einen Maulbeerbaum zu steigen. „Ich muss unbedingt Jesus sehen!“  

Früher hab ich immer gedacht: Mensch, der Zachäus ist aber neugierig. Heute weiß ich, dass da etwas ganz anderes dahinter steckt. Ein Mann in einer solchen Position wie der Zachäus, ich hätte fast gesagt, der zweithöchste Mann hinter dem Bürgermeister in Jericho, der steigt nicht auf einen Baum nur aus lauter Neugierde, um Jesus zu sehen. Nein, das war tiefe Sehnsucht des Herzens: Ich brauche ihn.

 

Und dann geschieht das Eigenartige. Als Jesus vorbeikommt mit einer großen Menschenmenge, da bleibt er genau unter dem Baum stehen, auf dem Zachäus sitzt. Er ist nicht weitergegangen. Jesus ist nie weitergegangen, wenn er gespürt hat: Da ist ein Mensch, der mich sucht. Im Alten Testament, beim Propheten Jeremia, hat Gott gesagt: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, dann will ich mich finden lassen.“ Und hier war einer, der von ganzem Herzen Jesus suchte.

Jesus schaut zu diesem Zachäus auf dem Baum empor. Es sind die kleinen Züge im Evangelium, die manchmal wichtig sind. Denk mal darüber nach: In Jericho hat jeder auf den Zachäus heruntergeschaut. Einmal im buchstäblichen Sinne, weil Zachäus klein von Gestalt war. Aber auch in dem übertragenen Sinne, in diesem moralischen Sinne, dass man auf ihn herabgeschaut hat: Der da, der Berufssünder. Und jetzt darf Zachäus erleben: Jesus schaut zu mir empor.

Das ist das Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Als Jesus Mensch wurde, hat er sich so klein gemacht, dass er zu jedem heruntergekommenen Sünder noch aufschauen kann. Und es tut so gut, einen Menschen zu haben, der zu mir aufschaut. Und das erlebt der Zachäus hier.

Und auf einmal wird dem Zachäus bewusst: Nicht ich suche ihn, sondern er sucht mich. Das ist das Geheimnis der christlichen Religion: In allen Religionen suchen die Menschen Gott. Nur in der christlichen Religion ist es umgekehrt: Da sucht Gott den Menschen! Das ist das Eigenartige, was wir oft in den Evangelien finden, dass die Menschen entdecken, Jesus sucht mich.

Jesus redet ihn an: „Zachäus, komm schnell herunter, heute muss ich in deinem Hause bleiben.“ Und dann kommt Zachäus ganz schnell vom Baum runter. Das kann man sich vorstellen. Was kein Mensch in Jericho mehr tat, nämlich mit dem Zachäus zum Essen gehen, das tut Jesus hier. Zachäus, heute muss ich in deinem Hause zu Gast sein. Und es ist Jesus so egal, dass die ganze Menschenmenge schimpft: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt.“ Er spürt, dieser Zachäus braucht mich jetzt. Und er geht mit ihm zum Essen.

 

Und nun kommen wir zum dritten Aspekt, unter dem wir den Zachäus betrachten wollen. Zachäus, ein Verwandelter. Jetzt geschieht das Eigenartige: Während Jesus mit ihm zu Tisch sitzt, vollzieht sich das Wunder der Verwandlung.  

Ich hab schon manchmal gedacht: Wenn ein Pfarrer mit dem Zachäus zum Essen gegangen wäre, dann hätte der ihm wahrscheinlich unter vier Augen gesagt: „Zachäus hör mal zu, wenn du so weitermachst kommst du in die Hölle.“ Aber das wusste der Zachäus ja schon, dass er auf dem falschen Weg war. Nur, das Problem besteht darin, wie komme ich aus dieser Verlorenheit raus? Jesus macht ihm keinen einzigen Vorwurf. Er droht ihm auch nicht mit der Hölle. Er schimpft ihn auch nicht aus: „Wie kannst du nur!“ Er bietet ihm einfach nur Tischgemeinschaft an.

Wenn jemand damals mit einem Menschen zum Essen ging, dann bedeutet das mehr, als ein Geschäftsessen heute bei uns. Das bedeutet: Ich schenke dir tiefste menschliche Gemeinschaft. Das ist gleichsam so, wie mit einem anderen Bruderschaft trinken, ihm das Du anbieten. Solche tiefe menschliche Gemeinschaft, solche Wärme hat Jesus dem Zachäus geschenkt. Und da geschieht das Wunder der Verwandlung. Es wird nicht beschrieben, wie das vonstatten geht Das ist immer das Geheimnis Gottes. Das ist das Geheimnis der Wiedergeburt, dass der Heilige Geist etwas in uns wirkt, uns total umformt von innen her. Und wir wissen nicht, wie es geht.

 

Aber die Auswirkungen dieser Verwandlung bekommt Jesus sofort zu spüren; und die bekommen auch die Menschen zu spüren. „Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen. Und wenn ich einen betrogen habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.“ Stell Dir das einmal plastisch vor:

Da sitzt am nächsten Morgen ein Bauer aus dem Umfeld von Jericho beim Frühstück mit seiner Familie, und dann kommt ein Brief vom Zollamt in Jericho. Mit zitternden Händen macht der Bauer den Brief auf, weil er befürchtet, dass da wieder eine Geldforderung vom Zollamt ist. Und dann liest er den Brief, und er traut seinen eigenen Augen nicht. „Lieber Bauer Levi, ich habe Dich in der letzten Woche um 100,-Euro betrogen. Das tut mir Leid, bitte verzeih mir das. Und um das wieder gut zu machen, lege ich dir einen Scheck von 400,-Euro bei.“ Der Bauer traut seinen Augen nicht. Unterschrift: Zachäus, Zollamt Jericho. Und er geht zu seinem Nachbarn, und auch der hat einen ähnlichen Brief bekommen. Das Armenhaus in Jericho bekommt eine Scheck mit einer riesigen Summe. Rundum konnte man in Jericho und Umgebung spüren, dass ein Mensch dieses Wunder der Verwandlung erlebt hatte durch die Begegnung mit Jesus.

 

Begegnung mit Jesus bedeutet Verwandlung. Hier sind wir am Mittelpunkt der christlichen Botschaft. Die christliche Botschaft besteht nicht darin, dass wir moralische Appelle erlassen: „Du musst dir ein bisschen mehr Mühe geben, du musst dich ein bisschen mehr anstrengen, dass du besser wirst.“ Der Mittelpunkt der Botschaft, wenn man’s in einem Wort zusammenfassen will, heißt: Verwandlung. Du darfst Dich von Jesus verwandeln lassen. So ähnlich wie der Mittelpunkt der Heiligen Messe auch in dem Stichwort ‚Wandlung’ liegt. Du darfst dich von Jesus total verwandeln lassen. Jesus ist gekommen zu suchen und zu retten, und ich möchte ergänzen, zu verwandeln, was verloren ist.

Da wird aus einer hässlichen Raupe ein wunderschöner Schmetterling. Da wird aus einem geldgierigen Halsabschneider ein freigebiger Mensch, der schenken kann. Da wird aus einem Sünder ein Heiliger. Und dieses Wunder der Verwandlung ist jedem von uns angeboten. Jesus sucht das Verlorene um es zu retten und zu verwandeln.  Amen.

 

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