Pfarrer Karl Sendker

Predigten - Hilfen zur Bibelarbeit

Gottesdienste - geistliches Leben

 

4. Ostersonntag A
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Predigten

Predigtverzeichnis  nach Bibelstellen geordnet

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Predigt zur 1. Lesung:   Apg 2,14a.36-41        mp3 Format        als Video

Predigt zum Evangelium:   Joh 10,1-10

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Predigttext:    Joh 10,1-10

 

Predigt im MP3 Format

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Vor einigen Jahren bin ich einmal an einem Samstagnachmittag in die Kirche gegangen, weil es in der Kirche relativ kühl war. Draußen war eine furchtbar drückende und schwüle Luft. Ich wollte mich eigentlich in der Kirche auf die Predigt vorbereiten, über den Bibeltext nachdenken und beten.

Und wie das so das Unglück will: Ich sitze in der Kirche, und da fliegt ein Vogel in der Kirche herum. Haben Sie das schon einmal erlebt?

Wenn ein Vogel in der Kirche herumfliegt, dann kannst Du Dich auf nichts mehr konzentrieren. Wenn heute in diesem Gottesdienst ein Vogel wäre, dann könnte ich aufhören zu predigen; da würden die Köpfe immer nur hin und her gehen. Alle würden schauen: Wo ist er denn jetzt, was macht er jetzt.

Dieser Vogel flog immer gegen die hellen Fenster, weil er dachte: Wo es hell ist, da ist auch irgendwie ein Herauskommen. Es waren auch einige Fensterspalte offen, aber der Vogel fand diese Fensterspalte nicht. Er war wie in einem Käfig. Jetzt kann man natürlich scherzhaft sagen: Die Kirche war ja ein religiöser Käfig. Aber Käfig ist Käfig, ob religiöser Käfig oder anderer Käfig. Der Vogel hat nur eine einzige Alternative: Entweder er findet die Fensteröffnungen und kommt dann raus und ist frei, oder aber er verendet, vielleicht irgendwo hinter der Orgel.

 

Diese Begebenheit fiel mir gestern Nachmittag ein, als ich über das heutige Evangelium nachdachte. Da sagt Jesus so ganz pointiert: „Ich bin die Türe; wer durch mich ein und aus geht, der wird weiten Raum haben, er wird saftige Weide finden, der wird Leben in Fülle haben. Ich bin die Türe dazu.“

Wie kommt Jesus zu diesem merkwürdigen Bildwort? Ich muss ihnen dazu einiges erklären.

 

Damals, als Jesus lebte, fühlten sich die Juden auch wie in einem religiösen Käfig. Dieser religiöse Käfig der Juden bestand aus sechshundertvierzehn, zum Teil kleinlichen Geboten und Vorschriften, die man alle einhalten musste. Hier ein Gebot, da ein Gebot, du musst, du darfst nicht, du sollst ... Und die Juden haben unter diesen Vorschriften gelitten und gestöhnt. Es war eine Belastung für sie. Keiner konnte das aushalten, keiner konnte diese vielen Gebote erfüllen.

Dieses System von religiösen Vorschriften war nicht der geoffenbarte Wille Gottes, aber die Priester hatten das daraus gemacht. Ich will ihnen das an einem einzigen Beispiel erklären: Gott hatte in den zehn Geboten gesagt: „Gedenke, dass du den Sabbat heiligst“, das dritte Gebot. Wenn man das einmal im Alten Testament nachliest, dann muss man sagen: Dieses Sabbatgebot war damals in Israel eine unglaubliche soziale Errungenschaft. Was es bei keinem anderen Volk im Orient gab, das gab es in Israel durch dieses Sabbatgebot: dass allen Menschen ein arbeitsfreier Tag in der Woche garantiert wurde, auch den Knechten und Mägden. Heute würde man sagen: den unteren Lohngruppen. Jedem wird ein arbeitsfreier Tag garantiert. Das war eine soziale Errungenschaft ersten Ranges.

Aber was haben die Theologen und die Priester daraus gemacht? Sie haben dieses Gebot, das den Menschen eigentlich Freiheit schenken sollte, so pingelig verfeinert, dass ein Käfig daraus wurde. Da wurde im Laufe der Jahrhunderte genau festgelegt, wie viele Schritte man an einem Sabbat laufen durfte. Wenn Sie am Sonntagnachmittag einen ausgedehnten Spaziergang gemacht hätten, dann hätten sie das Sabbatgebot schon gebrochen. Oder wenn man damals einen Spaziergang machte, am Sabbat durch die Kornfelder ging und dann so beiläufig eine Ähre abbrach, dann kamen die Priester und sagten: Das ist Erntearbeit, da hast du das Sabbatgebot gebrochen. Jesus hat mit den Priester und Theologen auch seine Not gehabt. Wenn Jesus am Sabbat einen Menschen geheilt hat, dann haben die ihm gesagt: „Das ist knechtliche Arbeit, das darf man am Sabbat nicht tun!“

Merken Sie, wie dieses befreiende Gebot Gottes immer mehr zu einem Käfig wird? Und das war mit vielen Geboten so.

 

Und nun kommt Jesus und sagt: Wenn du dich eingeengt fühlst durch diese vielen Vorschriften und Gebote, dann komm zu mir! Ich bin die Türe. Wer durch mich ein und aus geht, der wird Freiheit haben, der wird Weite haben, der wird Weide haben und ein erfülltes Leben. Das ist der Hintergrund dieses Bildwortes.

 

Und schauen sie sich auf diesem Hintergrund einmal die Menschen an, die Jesus begegnet sind. Bleiben wir nur bei der Gruppe der Jünger. Die sitzen am Osterabend aus Furcht vor den Juden hinter verschlossenen Türen. Die saßen auch in einem Käfig, weil sie alle abgehauen waren, als Jesus gefangen genommen wurde. Verstrickt in diesem Käfig von Versagen, von Sünde und von Schuld. Und was macht Jesus? Er öffnet ihnen die Türen. „Schalom, Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Ihr seid noch brauchbar für mich, ich kann mit euch noch etwas anfangen. Damit öffnet er ihnen die Tür und holt sie aus dieser Bedrängnis, aus dieser Enge, aus diesem Käfig, in den sie sich verstrickt hatten heraus. Immer wieder das gleiche bei Jesus: Er führt in die Weite und treibt nicht in die Enge.

 

Nun ist das ja nicht nur etwas für damals, sondern auch für heute. Viele, vor allem auch Jüngere in der katholischen Kirche leiden ja auch unter vielen pingeligen Vorschriften und Geboten. Gut, vor fünfzig Jahren war das noch schlimmer als heute. Mir hat einmal ein Jugendlicher im zehnten Schuljahr bei Schulendtagen gesagt: „Wenn ich wirklich als Christ leben will, dann darf ich ja nichts mehr.“ Lassen wir einmal dahingestellt, ob das so stimmt. Aber zumindest hat der Jugendliche Christenleben so empfunden: Dann darf man nichts mehr, was einem Freude macht, was einem Leben in Fülle schenkt.

 

Dahinter steht eine ganz große Not, in die wir im Laufe der Jahrhunderte in der katholischen Kirche gekommen sind. Zu viele Christen leben heute nach der Devise: Ich bin dann ein guter Christ, wenn ich religiöse Pflichten erfülle, wenn ich Gebote halte. Aber das ist es nicht! Das wichtigste ist nicht, dass wir einen Katalog von Geboten halten: Du musst, du darfst nicht, du sollst ... Das Wichtigste ist: Da ist ein Gott, der Dich liebt und der um Deine Gegenliebe wirbt. Das ist das Entscheidende. Und wenn Du noch so sehr im Käfig etwa Deiner Schuld sitzt, und wenn Du Deine religiösen Pflichten nicht erfüllt hast, dann liebt Gott Dich immer noch, bedingungslos. Und dieser Gott möchte Dir ein erfülltes Leben schenken, ohne Wenn und Aber. Er möchte, dass Dein Leben gelingt. Und dieser Gott wirbt um DICH, nicht um deine Pflichterfüllung. Er wirbt um Dich und Deine Gegenliebe.

 

Wo man dieses Grundprinzip verstanden hat: Es geht um einen Gott, der mich liebt, und der um meine Gegenliebe wirbt, dann wirst Du auch auf einmal die vielen Gebote und Vorschriften nicht mehr als Käfig erfahren, sondern als eine Ermöglichung, so wie Gott es ursprünglich z.B. mit dem Sabbatgebot gedacht hatte.

 

Das ist schon im rein menschlichen Bereich so: Liebe ist die stärkste verwandelnde Kraft, die uns herausholt aus der Enge und uns in die Weite hineinführt.

Ich will auch dafür ein Beispiel sagen. Mein jüngerer Bruder, der schon tot ist, war als Kind furchtbar unordentlich. Er konnte einfach keine Ordnung halten. Und da wir zusammen im Zimmer wohnten, bekam ich als der Ältere es immer zu hören: Warum ist das Zimmer nicht aufgeräumt ...? Wenn mein Bruder abends ins Bett ging, dann fing er an der Zimmertüre an, sich auszuziehen und hinterließ bis zum Bett eine Spur von Kleidungsstücken. Unser Vater hat ihm gedroht, hat ihm Hausarrest gegeben. Er hat es auch umgekehrt versucht; er hat ihm zusätzliches Taschengeld versprochen, wenn eine Woche lang das Zimmer aufgeräumt ist. Aber weder mit Geld und guten Worten, noch mit Drohungen hat unser Vater es nicht geschafft, dass mein Bruder Ordnung lernt, es klappte einfach nicht.

Und dann blieb Vater nur noch eine einzige Möglichkeit übrig: Wenn du mal zum ‚Bund’ kommst ...!! Das ist bei vielen Vätern damals die letzte Rettung gewesen. Aber auch der ‚Bund’ hat es nicht geschafft, meinem Bruder Ordnung beizubringen.

 

Aber dann, von einem einzigen Tag an, war das Zimmer immer aufgeräumt. Das war der Tag, als er zum ersten Mal über beide Ohren verliebt war, und als seine Freundin, die dann später auch seine Frau geworden ist, ihn zum ersten Mal zu Hause besuchte. Von da an war das Zimmer aufgeräumt.

 

Das ist mir eine Lehre geworden. Es geht nicht darum, zu drohen: Du musst Ordnung halten, auch in sittlichen, in moralischen Dingen! Es geht darum, zu verstehen: Da ist jemand, der Dich liebt, bedingungslos liebt. Und was vorher schwer war, das wird dann auf einmal leicht. Auf einmal erfährt man - im Bildwort Jesu gesprochen: Weite, Leben in Fülle, saftige Weide.   Amen.

 

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