Pfarrer Karl Sendker

Predigten - Hilfen zur Bibelarbeit

Gottesdienste - geistliches Leben

 

Impulse 2
Home Nach oben

 

Der Freund des Bräutigams

 

 6 Impulse zu Johannes dem Täufer

 

Was wird wohl aus diesem Kind werden ?

Der Vorläufer

Das Wort erging an Johannes

Der Ruf zur Umkehr

Wer bist du?

In der Anfechtung

 

Was wird wohl aus diesem Kind werden ?

 

Johannes der Täufer ist eine der großen Gestalten der Adventszeit. In jedem Jahr am zweiten und dritten Adventssonntag steht seine Gestalt im Evangelium der heiligen Messe im Mittelpunkt. Aber steht er wirklich im Mittelpunkt? Das müssen wir untersuchen. Schon die Ereignisse vor seiner Geburt sind sehr dramatisch.

Wenn sie zu Hause ein Neues Testament haben, lesen sie  einmal das erste Kapitel des Lukasevangeliums.

Und als Johannes dann geboren wird, da heißt es über ihn: „Alle, die davon hörten, machten sich Gedanken darüber und sagten: Was wird wohl aus diesem Kind werden? Denn es war deutlich, dass die Hand des Herrn mit ihm war.“ Das Kind wuchs heran, sein Geist wurde stark, und Johannes lebte in der Wüste bis zu dem Tag, an dem er den Auftrag erhielt, in Israel aufzutreten.

 

Was wird wohl aus diesem Kind werden? Wir wollen uns in diesem Impuls einmal anschauen, was denn aus diesem Kind geworden ist. Was sagt uns die Heilige Schrift, was aus diesem Kind geworden ist.

 

Das erste, was berichtet wird: Er war in der Wüste; sein Aufenthaltsort war die Wüste. Und das ist nicht zufällig. Wenn Sie einmal in die Bibel hineinschauen, dann werden sie feststellen: Die Wüste ist der Ort der Begegnung mit Gott. Ein Ort, wo kein Telefon stört, wo es kein Fernsehen, kein Radio gibt, wo dir keine Zeitung mehr nachgeschickt wird. Wo du ganz auf Gott ausgerichtet wirst, wo du nur noch mit Gott allein bist, wo alle störenden Einflüsse draußen bleiben.

Schauen Sie einmal in die Lebensgeschichte der Gestalten des Alten und Neuen Testamentes hinein. Die Wüste ist der Ort, wo Gottesmänner gleichsam geschnitzt werden (Frauen natürlich auch).

Mose geht vierzig Jahre lang in die Wüste. Und erst dann bekommt er die Erscheinung Gottes am brennenden Dornbusch. Erst nachdem er vierzig Jahre in der Wüste war, kann er das Volk Israel aus der Ägypten führen.

Elija, der große Gottesmann rennt in die Wüste.

Das ganze Volk Israel wird vierzig Jahre durch die Wüste geführt. Da wird es geformt zum Bundesvolk. Diese Zeit der Wüstenwanderung wird später beim Propheten Hosea die Brautzeit Israels genannt.

Jesus selber geht nach seiner Taufe in die Wüste.

Der Apostel Paulus, als er sich bekehrt hat vor den Toren von Damaskus, wo ihm Jesus begegnet ist, geht anschließend in die Wüste.

Immer wieder ist es die Wüste, wo Männer und Frauen Gottes geformt und geprägt werden. Man könnte gleichsam sagen: die Wüste ist die göttliche Universität, die göttliche Hochschule. Und das galt nicht nur damals, das gilt für uns heute auch.

Ich denke an einen Heiligen am Anfang des 20. Jahrhunderts, Charles de Foucauld, der buchstäblich in die Wüste nach Nordafrika zu den Tuaregs gegangen ist. Er hat dort mit ihnen gelebt. Und er hat überhaupt nicht erlebt, dass seine Tätigkeit irgendwelche Früchte für das Reich Gottes getragen hat. Und erst dann, als ihn die Tuaregs in der Wüste ermordet hatten, nach seinem Tod, geht eine große Bewegung los, die seinen Namen trägt. Viele Menschen folgen heute Jesus Christus nach auf diesem Weg, auf diesem kleinen Weg des Charles de Foucauld. Und alle diese Menschen, die diesen Weg der Nachfolge in der Weise des Charles de Foucauld gehen, die nehmen sich regelmäßig einmal im Monat Zeit für einen sogenannten Wüstentag, wo sie sich zurückziehen an einen stillen Ort, in ein Kloster vielleicht, um mit Gott allein zu sein, und um Bilanz zu machen.

Vielleicht hat nicht jeder von uns die Möglichkeit, sich jeden Monat einen Tag frei zu nehmen, um an einen „Wüstenort“ zu gehen. Aber dann lohnt es sich, von Zeit zu Zeit einmal stille Tage zu machen, meinetwegen Exerzitien, wo man auch Kargheit erlebt, wo nichts Störendes mehr da ist, wo man dann aber auch die prägende und formende Kraft Gottes erlebt.

Johannes wird geformt für seinen Dienst in der Wüste.

 

Ein Zweites:

Johannes der Täufer, das sagt schon der Beiname, ist der Täufer. Sein charakteristisches Kennzeichen ist, dass er am Jordan tauft. Und auch Jesus ist ja zu ihm an den Jordan gekommen, um sich von ihm taufen zu lassen. Und im Zusammenhang mit seiner Tauftätigkeit, die ja eine Taufe der Umkehr und der Buße war, hat Johannes den Stempel bekommen, der Bußprediger am Jordan zu sein. Und er hat den Menschen, die damals zu ihm an den Jordan kamen, mächtig ins Gewissen geredet. „Kehrt um, tut Buße, kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe.“

Diese Botschaft: „Kehrt um, tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe“, zieht sich wiederum wie ein roter Faden durch das ganze neue Testament hindurch.

Jesus tritt mit der gleichen Botschaft auf: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“

Am Pfingsttag, als die Menschen zum ersten Mal erlebten, dass der Heilige Geist auf die Jünger herabkam, hält Petrus seine erste Predigt, voll des Heiligen Geistes. Sie loben und preisen Gott, und die Menge steht ratlos und staunend dabei. Und am Ende sie fragen den Petrus: Petrus, wir möchten das auch haben, was sollen wir denn tun? Die Antwort des Petrus auf diese Frage hat nichts zu tun mit irgendwelchem Überschwang. Er sagt den Menschen ganz schlicht: „Kehrt um, bekehrt euch. Jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden. Dann werdet auch ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“

Immer wieder die gleiche Botschaft: „Bekehrt euch, kehrt um, tut Buße.“

 

Und auch hier einmal ein Blick in unsere Zeit hinein. Überall dort, wo die Muttergottes erschienen ist, ob in Lourdes, in Fatima, oder Medjugorje, da hat sie aufgerufen, Buße und Umkehr zu leben, Umkehr zu predigen. Sie hat nicht aufgerufen, Kerzen anzuzünden und Medaillen zu kaufen. Das haben wir oft daraus gemacht. Die zentrale Botschaft ist die gleiche, die schon Johannes der Täufer am Jordan verkündet hat: „Kehrt um!“

 

Diese Aufforderung zur Umkehr bedeutet nicht in erster Linie: Geh mal wieder zur Beichte und bessere dich. Das griechische Wort „metanoein“ heißt wörtlich übersetzt: umdenken. Das bedeutet, man bekommt einen neuen Mittelpunkt. Ich denke nicht mehr von mir aus, sondern der Mittelpunkt meines Denkens und Lebens wird Gott, wird Jesus Christus. Und dann bedeutet Umkehr nicht mehr: Ich will mich bessern, - das wäre ja wieder von mir aus gedacht. Sondern Umkehr bedeutet: Ich will und darf mich von Gott verwandeln lassen. Er darf mich ändern, mich verwandeln. Und damit sind wir am Mittelpunkt der christlichen Botschaft.

 

Ein Weiteres zu Johannes dem Täufer:

Dieser Bußprediger, der mit einer solchen Vollmacht am Jordan aufgetreten war, zu dem die Menschen in Scharen geströmt waren, obwohl er ihnen entgegengeschleudert hat: „Ihr Schlangenbrut, ihr Natterngezücht“, dieser Mann war im Tiefsten seines Herzens ein ganz demütiger Mann.

Eines Tages kommen seine Jünger zu ihm und sagen: Johannes hör mal, der, für den du Zeugnis abgelegt hast, dieser Jesus, der tauft jetzt selber, und alle Leute laufen ihm nach. Was sagst du dazu?

Und dann die demütige Haltung des Johannes: „Kein Mensch kann sich selber etwas nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist. Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich gesagt habe: Ich bin nicht der Messias, sondern nur vor ihm her gesandt. Wer die Braut hat, ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutigams aber, der dabei steht, der freut sich herzlich über die Stimme des Bräutigams. Diese meine Freude ist jetzt in Erfüllung gegangen. Er muss wachsen, ich muss abnehmen.“ Was ist das eine Haltung der Demut. Ich bin nicht der Bräutigam; es geht nicht um mich.

Und darum ist es auch falsch, wenn ich am Anfang gesagt habe: im Mittelpunkt des Evangeliums steht an den beiden Adventssonntagen Johannes der Täufer. Nein, im Mittelpunkt steht der Bräutigam, auf den Johannes hinweist.

Doch jetzt kommt das ganz Große. Johannes ist nicht der Bräutigam, aber er darf von sich sagen: „Ich bin der Freund des Bräutigams, der seine Stimme hört.“ Zu allen Jüngern hat Jesus gesagt: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, ich nenne euch Freunde.“ Vielleicht ist es eines der tiefsten Geheimnisse, dass wir sagen dürfen: Wir sind Freunde des Bräutigams. Und wir dürfen uns freuen, dass wir seine Stimme hören. Und wenn Johannes sagen kann: Diese Freude ist jetzt in Erfüllung gegangen, das ist tiefste Erfüllung des Lebens.

 

Ein weiterer Punkt im Leben des Johannes zu dem Thema: Was wird wohl aus diesem Kind werden?

Dieser Johannes ist auch nicht in die Knie gegangen vor den Mächtigen der damaligen Zeit. Als König Herodes seinem Bruders Philipus die Ehefrau ausgespannt und selber geheiratet hat, da tritt ihm Johannes der Täufer entgegen: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zur Ehefrau zu nehmen.“ Das ist Ehebruch! Und für diese klare Aussage geht Johannes ins Gefängnis.

 

Was brauchen wir heute Männer und Frauen, die mit so einer klaren, eindeutigen Sprache auch zu den Mächtigen der heutigen Zeit reden: Es ist nicht erlaubt, die Gebote Gottes zu übertreten. Wenn heute Ehebruch an der Tagesordnung ist, wenn manche den Ehebruch sehen wie eine therapeutische Maßnahme, wie ein Gesellschaftsspiel, wo sind dann die Christen, die mit so einer Klarheit auftreten: Es ist dir nicht erlaubt!

Oder in einem anderen Bereich: Wo sind die Männer und Frauen, die heute mit so einer Klarheit und Eindeutigkeit sagen: Es ist dir nicht erlaubt!, wenn es um die Frage der Tötung  ungeborenen Lebens geht? Wir haben uns ja so daran gewöhnt, dass menschliches Leben im Mutterleib getötet werden kann. Wir brauchen dringend solche Männer und Frauen, die in Schlichtheit und Eindeutigkeit bezeugen: Das ist nicht erlaubt. Das ist nicht im Willen Gottes. Das ist gegen den Gott des Lebens. Und die unter Umständen auch bereit sind, dafür Nachteile in Kauf zu nehmen. Gut, man wird dich heute dafür nicht ins Gefängnis werfen, aber vielleicht wird man dich mundtot machen.

Johannes ist für seine Haltung ins Gefängnis geworfen worden. Aber als er im Gefängnis sitzt, da passiert auf einmal etwas ganz Merkwürdiges. Da heißt es: Herodes fürchtete den Johannes, weil er wusste, dass er ein gerechter und heiliger Mann war, und ließ ihn bewachen. Und wenn er ihn hörte, wurde er sehr verlegen, doch er hörte ihn gern.

Das ist das Merkwürdige: Auf der einen Seite macht der Mächtige, der König, den Johannes mundtot und lässt ihn ins Gefängnis werfen. Auf der anderen Seite steht da: Er hörte ihn gern.

Wenn wir ganz klar die Gebote Gottes in dieser Welt bezeugen, dann kann es durchaus sein, dass wir der Welt quer liegen. Und doch, du wirst immer wieder merken, dass die Welt sich gerade solche Ratgeber sucht, die nicht ihre Fahne nach dem Wind gedreht haben, sondern die ganz klar die Weisung Gottes bezeugen. Das zeigt sich gerade auch in der jüngeren Geschichte bei Politikern oder Wirtschaftsfachleuten. Man sucht sich Ratgeber, die eine klare, eindeutige Sprache sprechen, die eindeutig die Sprache Gottes sprechen.

 

Am Ende wird Johannes der Täufer ermordet, enthauptet. Nicht weil Herodes das wollte, sondern weil Herodias, die Frau, die er dem Philipus ausgespannt hatte, den Herodes mit einem Trick hereingelegt hat. Auf einem großen Fest tanzte die Tochter der Herodias, und sie gefiel dem König. Da hat er ihr geschworen: „Ich will dir alles geben, bis zur Hälfte meines Königreiches.“ Und dann hat die Tochter das ausgenutzt. Auf Drängen ihrer Mutter sagt sie: „Ich will den Kopf Johannes des Täufers.“ Und weil der König öffentlich einen Eid geschworen hatte, kam er aus der Zwickmühle nicht mehr heraus. Er musste Johannes enthaupten lassen. So stirbt ein Zeuge Gottes.

 

Aber das ist nicht das Letzte. Das Letzte ist das Urteil, das Jesus über Johannes abgibt: Es gibt keinen von einer Frau Geborenen, der größer ist als er. Er ist der Letzte in der Reihe der großen alttestamentlichen Propheten, einer, der an der Schwelle des Neuen Bundes steht.

Wenn Jesus über ihm sagt: Er ist der Größte!, dann bedeutet das zum Beispiel: Alle Propheten des Alten Testamentes haben angekündigt, dass einmal der Tag kommen wird, an dem der Messias erscheint, wo das Reich Gottes anbricht. Aber nur einem war es vorbehalten, sagen zu können: Der ist es! Das war Johannes der Täufer. Er zeigt mit dem Finger auf Jesus: Er ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Und vielleicht ist das wieder eines der tiefsten Dinge die wir heute tun dürfen, auf IHN hinzeigen.

Dieser Hinweis auf IHN, das Lamm Gottes, ist der Kirche so wichtig, dass sie in jeder heiligen Messe den Gemeindemitgliedern dieses Wort durch den Priester zusprechen lässt. „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt.“ ER steht im Mittelpunkt. Wir dürfen hinweisen auf IHN, so wie Johannes der Täufer.

 

zurück zur Übersicht

Der Vorläufer

 

Johannes der Täufer wird in der christlichen Tradition ‚der Vorläufer’ genannt, der Vorläufer Jesu, der ihm den Weg bereitet.

Dieser Titel Vorläufer kommt so im Neuen Testament für Johannes gar nicht vor. Aber in der Geburtsgeschichte des Johannes, singt sein Vater Zacharias bei der Geburt ein großes prophetisches Lied, das wir jeden Morgen als Benediktus in den Laudes beten. Und da heißt es am Ende über Johannes den Täufer. „Und du Kind wirst Prophet des Höchsten heißen, denn du wirst dem Herrn voran gehen und ihm den Weg bereiten.“ Er wird dem Herrn vorangehen; er ist der Vorläufer Jesu.

 

Wir wollen zunächst einige Verse lesen aus dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums.

„Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. …

Dies ist das Zeugnis des Johannes: Als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?, bekannte er und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Messias. Sie fragten ihn: Was bist du dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. Da fragten sie ihn: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Auskunft geben. Was sagst du über dich selbst? Er sagte: Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Unter den Abgesandten waren auch Pharisäer. Sie fragten Johannes: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Messias bist, nicht Elija und nicht der Prophet? Er antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte.“ (Joh 1,6-8.19-28)

 

Johannes, der Vorläufer des Messias. Bleiben wir heute einmal beim Bild des Vorläufers.

Da fällt mir eine Begebenheit ein, die sich zugetragen hat bei den olympischen Spielen 1972 in München, und die zu mancherlei Schmunzeln Anlass gegeben hat.

Das Olympiastadion in München war bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf dem Programm stand der Einlauf der Marathonläufer. Die müssen ja die letzte Runde immer im Stadion laufen. Der Stadionsprecher hat durch den Lautsprecher angesagt: „Es kann nur noch wenige Augenblicke dauern, dann wird der Sieger des Marathonlaufs durch das Stadiontor einlaufen.“ Die ganze Aufmerksamkeit aller Menschen richtete sich jetzt auf das Stadiontor, wo man den Sieger des Marathonlaufes erwartete.

Und dann passierte es. Da hat sich ein junger Mann in Sportkleidung durch die Absperrungen gemogelt, kam durch das Tor ins Stadion und lief in Siegerpose eine Runde durchs Stadion. Alle Zuschauer haben sich zunächst bluffen lassen. Sie haben geglaubt: das ist der Sieger des Marathonlaufes. Sie haben gejubelt und geklatscht. Sie sind aufgestanden, als dieser Mann seine Runde durch das Stadion lief.

Dieser junge Mann hatte die Runde durchs Stadion fast vollendet, da kam durch das Stadiontor der wirkliche Sieger des Marathonlaufes gelaufen. Aber nicht in Siegerpose, sondern fast bis zum äußersten erschöpft. Er hatte alles gegeben und lief jetzt ermüdet und ermattet diese letzte Runde durchs Stadion.

Irgendwann merkten die Leute, dass sie einem Bluff aufgesessen waren. Erst kam Heiterkeit auf im Stadion, dann aber auch auf einmal betroffenes Schweigen. Man spürte: Dieser ‚Vorläufer’ hatte dem Sieger des Marathonlaufes die Show gestohlen.

 

Ich weiß nicht sicher, ob die Geschichte sich genauso zugetragen hat, oder ob es eine Geschichte ist, die man sich erzählt hat. Aber eins ist sicher: So ein Vorläufer war Johannes der Täufer nicht. Er hat nicht seinem Herrn, dem Messias die Show gestohlen, obwohl er es so leicht gehabt hätte.

Als er am Jordan Umkehr und Buße gepredigt hat, das war so gewaltig, wie selten jemand gepredigt hat. Da hat mancher sich gefragt: Ob der vielleicht der Messias ist? Das geht soweit, dass die Hohenpriester eine Untersuchungskommission zu ihm schicken, Priester und Leviten, mit der Frage: Bist du der Messias?

Und es wäre für Johannes den Täufer so leicht gewesen, selber groß rauszukommen. Aber er legt Zeugnis ab: „Ich bin nicht der Messias.“ „Bist du denn Elija?“ „Ich bin es nicht.“ „Bist du der Prophet, der kommen soll?“ „Nein.“  Die Antworten werden immer kürzer, immer einsilbiger.

Johannes der Täufer hat Jesus nicht die Show gestohlen, sondern er hat ihm den Weg bereitet. „Ich bin die Stimme eines Rufenden: bereitet dem Herrn den Weg.“ Und als die Priester und Leviten ihn fragen: „Warum taufst du dann, wenn du nicht der Messias bist, und nicht Elija und nicht der Prophet?“ Da antwortet Johannes: Ich taufe, damit er, nämlich der Messias in Israel bekannt wird. Er steht schon mitten unter euch, und ihr kennt ihn nicht. Und ich bin es nicht einmal wert, mich zu bücken und ihm die Schuhe aufzuschnüren.

Das ganze Leben des Johannes war ein einziger großer Hinweis auf den Größeren der nach ihm kommt, nämlich auf den Messias. Darum wird Johannes in der bildenden Kunst, zum Beispiel im Isenheimer Altar, mit einem überlangen Zeigefinger dargestellt. Seine Funktion ist es, Jesus den Weg zu bereiten, auf ihn hinzuweisen.

Zwei Kapitel weiter im Johannesevangelium, als die Jesusjünger dann taufen, sagt Johannes: „Ich bin nicht der Bräutigam, ich bin nur der Freund des Bräutigams. Er muss wachsen, ich muss abnehmen.“ Immer wieder der Hinweis auf Jesus.

Und als Jesus dann öffentlich auftritt, da zeigt Johannes auf ihn: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ Immer wieder der Hinweis auf IHN.

Johannes hat Jesus nicht die Show gestohlen, sondern er hat ihm den Weg bereitet. Das war sein Lebensinhalt. Und in dieser Weise war Johannes der Täufer Vorläufer Jesu.

 

Johannes der Täufer ist eine Gestalt des Advent. Und der Advent ist ja die Zeit, wo wir die Ankunft des Herrn erwarten, wo wir ihm, dem kommenden Herrn entgegengehen, wo wir am Weihnachtstag das Fest seiner Ankunft, seiner Geburt feiern.

Aber wenn man im Advent einmal mit offenen Augen durch unsere Städte geht, wenn man die Weihnachtsmärkte sieht, die ganzen Buden, die vielen Glühweinstände, wo die ganzen Weihnachtsschlager gedudelt werden. Wenn man den ganzen Einkaufsrummel, die Jagd nach Geschenken sieht, dann fragt man sich: Hat dieser ganze Weihnachtsrummel nicht Jesus die Show gestohlen? Stiehlt dieser Weihnachtsrummel Jesus nicht jedes Jahr aufs neue die Show? Vielleicht ist das kein guter Ausdruck, aber das was dahintersteht ist ja noch viel bitterer. Dieser ganze Weihnachtsrummel stiehlt Jesus das Herz der Menschen. Und diesem Rummel kann man kann sich ja kaum noch entziehen.

Sind für die meisten von uns nicht Geschenke, Weihnachtsbaum, Glühwein, Adventskranz, diese ganzen Äußerlichkeiten, sind die nicht oft wichtiger als die Erwartung Jesu Christi, das ganz bewusste Hingehen auf ihn? Haben diese Äußerlichkeiten nicht Jesus unser Herz gestohlen?

 

Aber vielleicht gibt es ja doch Menschen, die sich in der Adventszeit wirklich von Johannes an die Hand nehmen lassen, mit auf den Weg nehmen lassen. Die dem Herrn den Weg bereiten in ihr eigenes Herz hinein, in die Familien hinein, in die Gemeinden hinein. Die sich von Johannes, von seinem ausgestreckten Zeigefinger zeigen lassen: Seht, dort ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Ich weiß nicht, ob es viele sind, oder ob es wenige sind. Aber ich wünschte mir, dass es viele Menschen sind, die sich von Johannes dem Vorläufer Jesu mit an die Hand nehmen lassen, auf IHN hin, damit ER groß wird, in uns.

 

Ich möchte auf das Bild vom Vorläufer, das ja aus dem sportlichen Bereich genommen war, noch einmal in einem anderen Zusammenhang zurückkommen, der auch aus dem Sport genommen ist.

Im Winter, wenn in den Bergen im Wintersport die Abfahrtsläufe losgehen, und die Abfahrtsläufer die Pisten herunterrasen. Bevor der erste Wettkämpfer startet, läuft wiederum erst ein Vorläufer die Piste herunter. Und dieser Vorläufer muss kontrollieren, ob die Piste in Ordnung ist, ob sie gut präpariert ist, ob die Piste ok ist. Erst dann, wenn dieser Vorläufer unten angekommen ist, wird nach oben signalisiert: Die Piste ist vorbereitet, sie ist ok. Dann erst startet der Wettkampf, und der erste Läufer fährt die Piste herunter.

Vielleicht ist Johannes der Täufer auch in Weise Vorläufer des Messias. Er hat den Auftrag, zu prüfen, ob die Piste unseres Lebens, ob der Weg bereitet ist. Und dann soll er dem Herrn signalisieren: Du kannst losfahren, du kannst kommen, die Piste ist bereitet, der Weg ist ok.

 

Das Weihnachtsfest findet am 25. Dezember auf jeden Fall statt, mit Weihnachtsbaum, mit Weihnachtsliedern, mit einem festlichen Gottesdienst. Aber ob in unseren Herzen, in unseren Familien, in unseren Gemeinden wirklich die weihnachtliche Freude aufkommt, von der die Engel den Hirten auf den Feldern sagen: „Seht, ich verkündige euch eine große Freude. Heute ist euch der Heiland geboren.“ Ob diese Freude aufkommt, und ob der tiefe weihnachtliche Friede in uns kommt, das wird wohl davon abhängen, ob der Vorläufer signalisieren kann: Der Weg ist bereitet, die Piste ist ok. Du kannst ankommen.

 

zurück zur Übersicht

Das Wort erging an Johannes

 

Schüler lernen es schon in der Schule: Bei einem langen Satzgefüge gibt es einen Hauptsatz und einen oder mehrere Nebensätze, die dem Hauptsatz untergeordnet sind. Und die Schüler lernen auch: Ein Hauptsatz kann allein stehen. Aber ein Nebensatz kann nicht allein stehen, er braucht immer einen Hauptsatz, dem er zugeordnet ist.

Ich kann mich noch gut erinnern an die Zeit, als wir früher Lateinunterricht hatten. Wenn da ein längeres Satzgefüge zu übersetzen war, da sagte unser Lateinlehrer immer: Ihr müsst zuerst den Hauptsatz suchen, da steht das Wichtigste. Wenn ihr den Hauptsatz gefunden habt, dann könnt ihr von da aus die einzelnen Nebensätze erschließen.

Da wurde beiläufig schon so etwas mitgesagt, was im Deutschunterricht auch bedeutsam war: Das Wichtigste steht normalerweise im Hauptsatz. Das weniger Wichtige steht in den Nebensätzen.

 

Nun will ich in diesem Impuls keinen Deutschunterricht veranstalten. Aber als Johannes der Täufer in der Wüste Juda auftritt, und als später der Evangelist Lukas sein Evangelium schreibt, da macht er das Auftreten Johannes’ des Täufers in der Wüste zum Mittelpunkt der damaligen Weltgeschichte.

 

Ich lese einmal die ersten beiden Verse aus dem dritten Kapitel des Lukasevangeliums vor. Achten sie einmal beim Hören darauf, was Nebensatz ist, und was Hauptsatz ist.

„Im fünfzehnten Jahre der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war, als Herodes Vierfürst von Galiläa war, als sein Bruder Philipus Vierfürst von Ituräa und Trachonitis, und als Lysanias Vierfürst von Abilene war, als Hannas und Kajaphas Hohepriester waren, da erging das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste. Er kam in das ganze Land am Jordan und predigte eine Taufe zur Umkehr, zur Vergebung der Sünden.“

 

Man muss sich das einmal vorstellen: Dass in Rom Kaiser Tiberius regierte, der mächtigste Mann der damaligen Welt, das kommt in einen Nebensatz, das ist nebensächlich. Dass Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war, kommt in einen Nebensatz. Pontius Pilatus hatte so viel Macht, dass er Jesus kreuzigen lassen konnte; er trug den Titel, Freund des Kaisers, das kommt in einen Nebensatz. Dass Herodes Vierfürst von Galiläa war, kommt in einen Nebensatz. Dieser Herodes hat mit einer ganz großen Grausamkeit regiert. Aber nicht nur die politischen Mächte der damaligen Zeit kommen in einen Nebensatz, auch die geistliche Elite. Als Hannas und Kajaphas Hohepriester waren, heute würde man sagen: der Papst und sein engster Berater, das kommt in einen Nebensatz, das ist alles nebensächlich.

Und dann kommt das eine Wichtige, was Lukas in den Hauptsatz stellt: Da erging das Wort an Johannes, den Sohn des Zacharias in der Wüste. Und wenn man das ganz wörtlich übersetzt, dann heißt es nicht: da erging das Wort Gottes an Johannes, man müsste es wörtlich übersetzen: da geschah das Wort Gottes zu Johannes hin.

 

Hier liegt etwas ganz Wichtiges, auch für unsere Zeit heute. Nicht die Mächtigen dieser Welt sitzen am Hebel. Und auch die Nöte und die Probleme, die uns manchmal so unter den Nägeln brennen, sind es nicht, was unsere Zeit dominiert. Das einzige Entscheidende ist, ob mitten in dieser Welt das Wort Gottes an uns ergeht, auf uns hin geschieht; ob das Wort Gottes Ereignis werden kann.

Im Hebräischen (das Alte Testament, die Sprache Jesu war ja das Hebräische) gibt es für die Ausdrücke ‚Wort’ und ‚Tat’ nur das gleiche hebräische Wort: „dabar“. Dabar kann sowohl Wort heißen wie auch Tat.

Darin steckt hintergründig etwas ganz Wichtiges. Wenn das Wort Gottes ergeht, dann wird es Tat, dann wird es Ereignis, dann geschieht etwas. Und es geschieht auf uns hin. Hier geschieht etwas auf Johannes den Täufer hin.

 

Ich will ihnen einige Beispiele dafür sagen. Bereits im ersten Kapitel des Alten Testamentes, im Buch Genesis, geht es um ein großes Schöpfungslied. Da heißt es am Anfang: „Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.“ Das Wort Gottes wird Ereignis, da geschieht etwas.

Ein anderes Beispiel. Als Mose das Volk Israel aus Ägypten herausführt, da stehen sie nach kurzer Zeit am Roten Meer. Der Pharao rückt hinter ihnen her und will sie zurück holen. Und jetzt steht Israel scheinbar aussichtslos am Meer. Vor sich das Meer, rechts und links die Wüste, hinter sich die Ägypter. Sie wissen nicht mehr ein noch aus, sie sehen keine Lösung mehr. Und dann heißt es wiederum: Das Wort Gottes geschah zu Mose hin, es erging an Mose: „Ihr werdet euch still verhalten, der Herr wird für euch streiten.“

Wie die ganze Sache ausgegangen ist, wissen wir. Israel zieht trockenen Fußes durch das Rote Meer, das Heer der Ägypter kommt in den Fluten um. Das Wort Gottes wird Ereignis.

Viele Jahrhunderte später ist Hiskija König in Jerusalem. Das Nordreich Israel war schon erobert. Wir sind in der Zeit des Propheten Jesaja. Da steht der assyrische Feldherr Sanherib vor Jerusalem. Er belagert die Stadt mit einem riesigen Heer. Und man kannte die Grausamkeit der Assyrer. Man hatte keine Hoffnung mehr in der Stadt. Der heidnische Feldherr Sanherib lässt eine Botschaft nach der anderen an König Hiskija ergehen, voller Spott über den Gott Israels, auf den Hiskija sich stützt. Und dann ergeht das Wort an den Propheten Jesaja, es geschieht zu ihm hin: „So spricht der Herr über den König von Assur. Er wird nicht in diese Stadt hineinkommen; er wird noch nicht einmal einen Pfeil in die Stadt schießen. Und mit keinem Schild wird er gegen sie vorrücken, und er wird auch keinen Wall aufwerfen. Auf dem Weg auf dem er gekommen ist, auf dem wird er auch umkehren. Aber in die Stadt kommt er nicht hinein. Ich werde ihm einen Geist eingeben, und er wird ein Gerücht hören, und er wird wieder abziehen in sein Land.“

Genau das geschieht. Sanherib hört, dass er in seinem eigenen Palast erst mal Ordnung schaffen muss. Hals über Kopf bricht er die Belagerung Jerusalems ab, und schließlich wird er in seiner Stadt Ninive von seinen Söhnen erschlagen. Das Wort Gottes geschah zu Jesaja hin und es wurde Ereignis.

Oder schauen Sie ins Mittelalter hinein. Mitten im dunklen Mittelalter, von dem wir immer reden, wo es auch in der Kirche drunter und drüber ging, wo es drei Päpste gleichzeitig gegeben hat, die sich gegenseitig abgesetzt haben, wo die Bischöfe mehr Fürsten waren, die Gelage gefeiert haben und die auf die Jagd gegangen sind, als dass sie sich um geistliche Dinge in ihrem Bistum gekümmert haben. In diesem finsteren Mittelalter, da ergeht das Wort Gottes an einen ganz einfachen Mann, an Franziskus, Franz von Assisi: „Baue meine Kirche wieder auf.“ Und was hat dieses Wort, das Gott an Franziskus gerichtet hat, für einen Aufbruch in der Kirche bewirkt, dessen Auswirkungen ja bis in unsere Tage noch zu spüren sind.

Das Wort Gottes wird Ereignis. Und es gibt nichts Wichtigeres im Leben eines Menschen, als dass Gott plötzlich anfängt, zu einem Menschen zu sprechen, dass das Wort Gottes an uns ergehen kann.

Wir blocken da oft ab. Es ist nicht damit getan, dass wir meinetwegen im Gottesdienst jeden Sonntag das Evangelium hören. Nein, wir müssen uns Gott gegenüber so öffnen, dass sein Wort in uns eindringen kann.

Der Prophet Jeremia hat einmal gesagt: „Das Wort Gottes ist wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt.“ Oder im Neuen Testament sagt der Verfasser des Hebräerbriefes: „Das Wort Gottes ist wie ein zweischneidiges Schwert, es dringt durch bis zur Scheidung von Gelenk und Mark.“ Das bedeutet: Wo das Wort Gottes einen Menschen wirklich treffen kann, wie hier Johannes den Täufer, da bewirkt es etwas im Leben eines solchen Menschen.

 

Ich habe das einmal selbst in sehr drastischer Weise erlebt. Ich habe das häufiger erlebt, aber eins ist mir so lebendig in Erinnerung, obwohl es schon Jahrzehnte zurückliegt. Es war in meiner ersten Kaplanstelle. Ich wohnte damals noch im Pfarrhaus. Der Pfarrer bekam im Januar Besuch von einem spanischen Priester, der bei uns übernachtete. Dieser spanische Priester brach sich bei Glatteis vor unserer Haustüre den Fuß. Wir wussten im ersten Augenblick nicht, dass der Fuß gebrochen war. Wir dachten er sei verstaucht; und so hat der spanische Priester erst einmal einige Tage lang mit kühlenden Umschlägen im Esszimmer auf dem Sofa gelegen.

Aber können sie sich vorstellen, wie das ist, wenn so ein lebhafter Spanier auf dem Sofa festgenagelt ist? Der ließ sich von vorne bis hinten bedienen. Die Bücher stapelten an der Couch neben ihm hoch. Alles musste man ihm holen. „Karl, kannst du mir mal das bringen. Karl, kannst du mir mal das holen.“

Ich muss ehrlich sagen: Ich konnte es nach kurzer Zeit nicht mehr ertragen. Und ich weiß noch gut: Am dritten oder vierten Tag komme ich morgens aus dem Schlafzimmer und musste durch das Esszimmer hindurch in mein Arbeitszimmer. Ich hab die Türklinke vom Esszimmer noch in der Hand, und dann ging es schon los. „Karl, kannst du mir mal ...“ Ich habe nicht einmal Guten Morgen gesagt. Ich hab ihn keines Blickes gewürdigt. Ich bin einfach geradeaus in mein Arbeitszimmer gegangen und habe dann das getan, was ein guter Priester normalerweise morgens tut: ich habe die Laudes aus dem Stundenbuch gebetet. Jeder der die Laudes morgens betet, die weiß, dass nach den Psalmen eine Kurzlesung dran ist.

Und wissen Sie, was an diesem Tag als Kurzlesung „zufällig“ dran war? Ein Wort aus dem ersten Petrusbrief: „Seid gastfreundlich, ohne zu murren.“

Sie können mir glauben, das hat gesessen. Es war wie ein Hammer. Ich hatte meine ganze Gastfreundlichkeit über Bord geworfen, hatte den Gast keines Blickes gewürdigt, hatte diesem spanischen Priester nicht einmal die Tageszeit gewünscht. Und dann auf einmal schlägt das Wort Gottes zu: „Seid gastfreundlich ohne zu murren.“ Ich bin sofort aufgestanden, bin zu ihm hingegangen und ich hab mich bei ihm entschuldigt.

 

So ist das, wenn das Wort Gottes einen trifft. Und wenn man dann noch bedenkt, diese Kurzlesung kommt im Brevier alle vier Wochen wieder. Was meinen sie, wie oft ich die schon gelesen hatte! Aber in dieser Situation war es nicht nur ein Wort, das ich lese, sondern da wurde dieses Wort Gottes Ereignis. Da erging es an mich, da geschah es auf mich hin.

 

Und das ist das Entscheidende, was einen Menschen begegnen kann. Das hat Johannes der Täufer in der Wüste erfahren. Ich weiß nicht, was Gott dem Johannes damals gesagt hat. Den Inhalt des Wortes erfahren wir nicht. Aber vielleicht hängt es mit der Botschaft zusammen, die Johannes der Täufer dann anschließend verkündet, mit der Botschaft der Umkehr: „Bekehrt euch, tut Buße.“

 

Wir brauchen diese Botschaft heute genauso, denn die Zeit ist ernst. Das Christentum ist keine belanglose Sache, und die Lage der Welt ist auch nicht belanglos. Der Ruf: „Kehrt um, tut Buße“, ist heute genauso aktuell wie damals.

Aber es kommt auch das andere dazu: „… damit euch die Sünden vergeben werden“. Oder wie ich in einem anderen Impuls gesagt habe: dass Johannes der Täufer mit einem langen Zeigefinger auf Jesus zeigt. Er ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt. Es gibt eine Erlösung, es gibt eine Befreiung von den Sünden. Gott will nicht, dass der Sünder stirbt, dass der Sünder zugrunde geht. Sondern er hat dazu den Messias gesandt, dass durch ihn die Menschen gerettet werden.

Das ist wohl die Botschaft, die an Johannes ergangen ist in aller Dringlichkeit, und die sein Leben von da an bis ins Tiefste geprägt hat. Überall da, wo Menschen diese Botschaft an sich herankommen lassen, wo Menschen das Wort Gottes erleben als ein Ereignis, das auf sie hin geschieht, da wird ein solcher Mensch vom Wort Gottes geprägt. Und das griechische Wort für Prägung heißt Charakter.

 

zurück zur Übersicht

Der Ruf zur Umkehr

 

Stellen sie sich einmal vor, sie gehen sonntags zum Gottesdienst und erwarten die Predigt. Und dann redet der Prediger die Gemeinde an: „Ihr Schlangenbrut!“

Genauso hat Johannes der Täufer als Bußprediger am Jordan die Menschen angeredet: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch beigebracht, ihr könntet dem kommenden Gericht entrinnen.“ Aber hören wir diese Szene einmal im Originaltext aus dem Matthäusevangelium:

 

„In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf und verkündete in der Wüste von Judäa: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. Er war es, von dem der Prophet Jesaja gesagt hat: Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung. Die Leute von Jerusalem und ganz Judäa und aus der ganzen Jordangegend zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen.

Als Johannes sah, dass viele Pharisäer und Sadduzäer zur Taufe kamen, sagte er zu ihnen: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. Ich taufe euch nur mit Wasser (zum Zeichen) der Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand; er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.“ (Mt 3,1-12)

 

 „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn beigebracht, ihr könntet dem kommenden Zorngericht entgehen?“ So redet Johannes der Täufer die Menschen am Jordan an. Und die Menschen, die er dort anredet, das war nicht der Abschaum der damaligen Gesellschaft. Es steht hier: „Es kamen Pharisäer und Sadduzäer“. Die hat er so angeredet: „Ihr Schlangenbrut, ihr Natterngezücht.“

Die Saduzäer waren die Gruppe in Israel, aus der die meisten Priester kamen. Auch der Hohepriester zu der Zeit kam aus der Gruppe der Saduzäer.

Die Pharisäer waren eine Gruppe in Israel, die es mit den Geboten Gottes ganz besonders genau nahmen, die viel mehr taten, als vorgeschrieben war. Wenn vorgeschrieben war, zweimal zu fasten, dann haben die dreimal gefastet.

Pharisäer und Saduzäer sind Menschen gewesen, auf die damals jeder mit Hochachtung geschaut hat. Und dieser geistlichen Elite ruft Johannes zu: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn beigebracht, ihr könntet dem kommenden Zorngericht entrinnen?“

Warum macht er das? Warum haut er ihnen gleichsam eins vor den Kopf mit dieser Anrede „Ihr Schlangenbrut“?

 

Ich glaube, es hängt zusammen mit der Botschaft, die Johannes zu verkünden hat. Die Botschaft heißt: „Kehrt um, tut Buße, bekehrt euch!“ Das war die Botschaft des Johannes. Und Johannes der Täufer wusste aus Erfahrung, dass es für einen Prediger kein schwierigeres Geschäft gibt, als einem Frommen klar zu machen, dass er Bekehrung braucht. Einem ganz heruntergekommenen Sünder, der bis in die Gosse, oder biblisch gesprochen, bis zum Schweinetrog heruntergekommen ist, dem klar zu machen, dass er Umkehr nötig hat, das ist keine Schwierigkeit. Aber sagen sie einmal einem gestandenen Katholiken, er soll sich bekehren. Wissen sie, was man dann als Antwort bekommt? Das kann ich ihnen sagen. Dann sagen die Leute: „Wieso bekehren? Ich bin doch getauft, ich bin zur Kommunion gegangen, bin gefirmt worden. Ich gehe mehr oder weniger jeden Sonntag zur Kirche, ich erfülle meine religiösen Pflichten. Gut, ich bin kein Heiliger, aber eigentlich muss die Kirche, muss Gott doch mit mir zufrieden sein.“

Genauso haben damals die Frommen am Jordan reagiert. „Bekehren? Johannes, du meinst doch nicht uns. Wir sind doch Söhne Abrahams, wir haben Abraham zum Vater. Wir gehören zum auserwählten Volk Gottes. Wir tun viel mehr als vorgeschrieben ist. Du meinst doch die Heiden. Du meinst doch nicht uns, wenn du aufforderst: Bekehrt euch.“

Einem frommen Menschen klar zu machen, dass er Bekehrung braucht, das ist schwer. Da hat auch Jesus Probleme gehabt in seiner Verkündigung. Und darum ruft ihnen Johannes am Jordan zu: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch gelehrt, ihr könntet dem Zorngericht Gottes entrinnen?“

Diese provozierende Anrede ist gleichsam der letzte Knüppel, den ihnen Johannes zwischen die Beine wirft und sagt: Nun lasst euch doch aufbrechen aus eurer Verhärtung, aus eurem verkehrten Herzen. Öffnet euch dieser Umkehrbotschaft, denn das Himmelreich ist nahe.

 

Nun sagen heute viele Menschen: Das war Johannes der Täufer, der Bußprediger. Das war ja noch vor Jesus. Jesus hat eine ganz andere Sprache gesprochen. So sagen die Leute.

Ja, das ist auf der einen Seite richtig. Wenn man die Evangelien liest, dann spürt man, dass Jesus ganz liebevoll, ja manchmal sogar zärtlich mit jedem heruntergekommenen Sünder umgegangen ist. Wie ein Hirt, der dem verlorenen Schaf nachgeht.

Aber, wenn es Jesus mit diesen Frommen zu tun hat, mit den Pharisäern und mit den Sadduzäern, dann redet er eine genau so harte Sprache wie Johannes der Täufer. Er sagt diesen Pharisäern: Ihr Heuchler, ihr seid wie übertünchte Gräber. Nach außen hin habt ihr einen schönen weißen Anstrich, da ist alles ok. Da macht ihr den Eindruck, als ob ihr Musterchristen seid. Aber innen drin ist aller Moder, ist alles tot, von lebendigem Glauben nichts mehr zu spüren. Ihr seid wie übertünchte Gräber.

Oder in der Bergpredigt sagt Jesus von diesen Frommen, von den Pharisäern: Sie sind wie Wölfe, die im Schafspelz daher kommen. Nach außen machen sie den Eindruck, als seien sie Schafe, als gehörten sie zur Herde Christi. Aber innen drin sind sie reißende Wölfe. Innen drin leben sie genau wie alle Heiden auch. Da gibt es Habgier, da gibt es Raub, da gibt es Ehebruch, da gibt es Verleumdung, damals wie heute. Nach außen hin wie Schafe, nach innen hin, reißende Wölfe.

 

Woran kann man denn sehen, ob man zu den Bekehrten gehört oder zu den Unbekehrten? Da gibt uns Johannes der Täufer, und fast mit den gleichen Worten auch Jesus, ein ganz klares Kennzeichen an die Hand. Johannes der Täufer sagt: „Zeigt doch einmal eure Früchte, die eure Bekehrung unter Beweis stellen. Zeigt mir euere Früchte.“ Und Jesus sagt in der Bergpredigt, als er von den Wölfen im Schafspelz redet: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“

 

Was sind das für Früchte, von denen das Neue Testament, Johannes der Täufer und auch Jesus hier reden? Der Apostel Paulus kommt im fünften Kapitel des Galaterbriefes auf diese Früchte zu sprechen. Da nennt er auf der einen Seite die Werke eines unbekehrten Menschen und stellt dem gegenüber die Früchte eines bekehrten Menschen, die Früchte des Geistes.

 

„Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und ähnliches mehr. Ich wiederhole, was ich euch schon früher gesagt habe: Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben.

Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“ (Gal 5,19-23)

 

Werke eines unbekehrten Menschen im Gegensatz zu Früchten eines bekehrten Menschen.

An diesen Früchten kann jeder ablesen, wie es in seinem Leben bestellt ist, ob er zu den Bekehrten gehört, oder ob er dringend diesen Ruf nötig hat: „Kehrt um!“

 

Damit wir uns jetzt nicht missverstehen: Auch im Leben eines bekehrten Menschen kann einmal eine schlecht Frucht wachsen. Auch aus einem guten Baum kommt gelegentlich ein wilder Trieb hervor, das ist nicht das Problem. Es kann durchaus sein, dass es auch bei einem bekehrten Menschen einmal Zank und Streit gibt. Das hat es unter den Aposteln auch gegeben.

Gemeint ist Folgendes: Wo ist die durchgehende Linie Deines Lebens? Ich will es mal praktisch sagen: Wenn man Dich an Deinem zänkischen Wesen schon erkennen kann, wenn das Dein ‚Markenzeichen’ ist, wenn mit Dir schlecht Kirschen essen ist, dann ist das die Frucht eines unbekehrten Lebens. Wenn es Dein Kennzeichen ist, dass du alle Sorgen und Probleme und allen Ärger mit Alkohol runterspülst, dann ist das die Frucht deines Lebens.

Das heißt wiederum nicht, dass man nicht mal einen über den Durst trinken darf, oder dass es nicht mal Ärger oder Streit geben darf. Da gibt es ja auch Versöhnung. Gefragt ist: Wo ist die rote Linie in Deinem Leben? Wo sind die Früchte, die da wachsen, woran erkennt man Dich?

 

Aber dann ist die Frage umso wichtiger: Wie geht das denn: „Bekehrt euch, tut Buße?“ Was meint Johannes mit diesem Ruf? Was meint Jesus mit diesem Ruf und auch die Apostel, wenn sie immer wieder auffordern: „Bekehrt euch.“?

Bekehrt euch, das meint nicht: Du musst dich jetzt bessern. Du musst dich ein bisschen mehr anstrengen, dir ein bisschen mehr Mühe geben, dann wirst du schon ein besserer Christ. Das haben wir alle schon probiert, und es hat nicht geklappt.

Nein, Bekehrung meint im tiefsten etwas ganz Anderes. Ich will es mal wieder mit Johannes dem Täufer sagen: Dass ich mich auf Jesus verweisen lasse, als den Erlöser, der die Sünde der Welt hinweg nimmt. Der stärker ist, der nicht mit Wasser tauft, sondern mit Heiligem Geist.

Und da spürt man: Umkehr ist letztlich ein Werk Jesu, das er an uns tut. Und ein Werk des Heiligen Geistes, der unser versteinertes, verhärtetes Herz verwandelt. Bekehrung bedeutet, dass ich mich unter das Kreuz stelle, zu Jesus Christus aufschaue und ihm sage: „Jesus, du mein Erlöser, hier bin ich. In meinem Leben gibt es so viele Werke eines unbekehrten Menschen. Die halte ich dir jetzt alle hin. Und ich bitte dich um Vergebung. Und ich danke dir, dass du diese Vergebung, diese Erlösung am Kreuz bewirkt hast. Und ich bitte dich, dass du mein Leben verwandelst, nicht dass ich mich verwandle, sondern dass du mein Leben verwandelst.“ Das ist der Schritt der Bekehrung.

 

Zu diesem Schritt lade ich Sie ein. Dass Sie nicht nur diesen Impuls lesen, sondern dass Sie sich an diesem Tag unters Kreuz stellen: „Jesus, ich brauche Erlösung; und ich danke dir, dass du mein Erlöser bist. Dass du am Kreuz diese Erlösung bewirkt hast. Und verwandle du mein Leben.“

Und vielleicht sagst Du ihm auch, was dein wichtigster Punkt ist, wo Jesus anfangen soll, dich zu verwandeln.

 

Als damals am Jordan Johannes gepredigt hat, „Kehrt um!“, da haben sich Scharen von Sündern bekehrt. Sie haben sich taufen lassen und haben ihre Sünden bekannt. Aber fast alle Frommen haben sich damals verhärtet und haben sich nicht bekehrt. Ob das heute anders ist?

 

zurück zur Übersicht

Wer bist du?

 

Am Anfang dieser Impulsreihe über die Gestalt Johannes den Täufers, stand die Frage, die bei seiner Geburt laut wurde: „Was wird wohl aus diesem Kind werden?“ Heute geht die Frage ganz direkt an Johannes den Täufer selbst: „Wer bist du?“ Eine verführerische Frage.

Aber lesen wir zunächst noch einmal einige Verse aus dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums:

 

„Dies ist das Zeugnis des Johannes: Als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?, bekannte er und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Messias. Sie fragten ihn: Was bist du dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. Da fragten sie ihn: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Auskunft geben. Was sagst du über dich selbst? Er sagte: Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Unter den Abgesandten waren auch Pharisäer. Sie fragten Johannes: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Messias bist, nicht Elija und nicht der Prophet? Er antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte.“  (Joh 1,19-28)

 

Im vorigen Impuls haben wir im Matthäusevangelium erfahren, dass die Menschen in Scharen zu Johannes an den Jordan kamen, um ihn zu hören, um seine Bußpredigt zu hören. Sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan taufen.

Das muss ein ganz gewaltiger Mann gewesen sein, ein gewaltiger Prediger am Jordan, dieser Johannes der Täufer. Und das bleibt natürlich auch der geistlichen Behörde in Jerusalem nicht verborgen. So schicken sie jetzt Priester und Leviten zu ihm, heute würde man sagen, eine offizielle Untersuchungskommission mit der Frage: Wer bist du?

Ich habe am Anfang schon gesagt: das ist verführerisch. Im tiefsten steckt das in uns allen drin, dass wir wer sein wollen, dass wir bei den Menschen etwas gelten möchten. Was wünschten wir uns, dass uns die Menschen die Frage stellen: Wer bist du? Und dann können wir richtig loslegen. Nicht umsonst heißt eines der Hauptstichworte unserer Zeit: Selbstverwirklichung. Da geht es immer darum, dass sich alles um mich dreht, dass ich im Mittelpunkt stehen kann.

 

So kommen jetzt die Priester und Leviten zu Johannes an den Jordan und setzen ihm gleichsam die Pistole auf die Brust: Wer bist du? Aber jetzt kommt das Eigenartige. In den Antworten, die Johannes gibt, erfahren wir überhaupt nicht, wer Johannes ist, sondern wir erfahren nur, wer er nicht ist.

Als sie ihn fragen: Wer bist du?, haben sie im Hinterkopf natürlich den Gedanken, ob er vielleicht selbst der Messias ist. Und Johannes der Täufer antwortet: „Ich bin nicht der Messias.“

Da fragen sie ihn: „Wer bist du dann, bist du Elija?“ Wie kommen die denn jetzt auf Elija? Nun, Johannes der Täufer hat ein Gewand getragen aus Kamelhaar, mit einem ledernen Gürtel. Und jeder Jude, der ein bisschen in der Bibel zu Hause war, wusste: das war die Kleidung des Propheten Elija. Und außerdem steht im letzten Kapitel des Alten Testamentes, beim Prophet Maleachi: Bevor der Messias wiederkommt, wird Gott noch einmal den Propheten Elija senden, der das Herz der Söhne zu ihren Vätern wendet.

Und so fragen sie Johannes: Bist du Elija? Johannes antwortet (Achten sie einmal darauf: die Antworten werden immer kürzer.): Ich bin es nicht.

Bist du der Prophet? Auch hier muss man wissen: Die Juden erwarteten, aufgrund einer Aussage im Buch Deuteronomium, dass Gott vor dem Erscheinen des Messias noch einmal einen Propheten wie Mose senden würde. Die Sprache des Johannes war ja auch die Sprache eines Propheten. Bist du der Prophet, den wir erwarten? Und Johannes, ganz einsilbig: „Nein.“ Wir erfahren nicht, wer er ist, sondern wir erfahren nur, wer er nicht ist.

 

Johannes der Täufer hätte ja auf die Frage: Wer bist du?, antworten können: „Ich bin von Gott gesandt.“ Und das hätte gestimmt.

Johannes hätte auch antworten können: „Ich bin gekommen, um dem Messias den Weg zu bereiten.“ Das hätte gestimmt.

Er hätte antworten können: „Mitten unter euch steht einer, den ihr noch nicht kennt; aber ich kenne ihn, Gott hat ihn mir offenbart.“ Und es hätte gestimmt.

Aber nichts von dem sagt Johannes der Täufer. Er sagt nur, wer er nicht ist.

 

Doch die Abgesandten aus Jerusalem geben sich damit nicht zufrieden. Sie drehen den Spieß um und sagen ihm: „Wer du nicht bist, das wissen wir inzwischen. Wir möchten jetzt wissen, wer du bist. Wir müssen doch denen, die uns gesandt haben, Antwort geben. Was sagst du über dich selbst?

Was wird Johannes jetzt antworten? Er antwortet ihnen: Wenn ihr fragt: Wer bist du?, dann ist diese Frage schon falsch gestellt. Es geht überhaupt nicht darum, wer ich bin. Und auf eine falsche Frage kann man keine richtige Antwort geben.

Es geht um eine Botschaft, um die Botschaft, die der Prophet Jesaja gesagt hat: „Ebnet den Weg für den Herrn in der Wüste.“ Und für diese Botschaft leihe ich meine Stimme. Auch hier fällt auf: Nicht einmal die Botschaft stammt von Johannes, sondern es ist das Zeugnis des Alten Testamentes, in diesem Fall des Propheten Jesaja, das er weitergibt. Nichts Eigenes, nur die Botschaft, die im Mittelpunkt steht, der leihe ich meine Stimme.

Und noch einmal bohren die Leviten und die Priester nach. „Warum taufst du denn, wenn du nicht der Messias bist, nicht Elija und nicht der Prophet?“ Johannes weist wieder weg von sich selbst: „Ich taufe mit Wasser, mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt. Ich bin nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren.“ Wieder der Hinweis: weg von seiner Person, hin zur Person des Messias. Auf die Frage, Wer bist du?, bekommen sie keine Antwort.

Das war der Lebensinhalt des Johannes. Von sich wegzuweisen und hinzuweisen auf Jesus. Hinzuweisen auf Größeren, der nach ihm kommt.

 

Ich möchte noch einmal zurückkommen auf die Frage: Wer bist du? Ich habe gesagt, das ist eine verführerische Frage, weil wir alle gerne wer sein möchten. Ja, aber dann die Gegenfrage: Ist das denn nicht recht, dass wir wer sein möchten? Ist das denn verboten? Ist das denn etwas Schlechtes, dass man wer sein möchte, dass man groß sein möchte? Nein, ist es nicht! Aber denk immer an eins: Jesus hat später einmal gesagt: „Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden“, den wird Gott erhöhen.

Lasst uns das einmal am Beispiel des Johannes durchspielen. Am Anfang des Johannesevangeliums heißt es von Johannes dem Täufer: „Er war nicht das Licht.“ Das war sein eigenes Zeugnis. Jesus sagt später von ihm: „Er war das Licht, das in der Dunkelheit geleuchtet hat, aber ihr wolltet es nicht erkennen.“ Jesus macht ihn groß.

Johannes sagt hier, als die Priester und die Leviten ihn fragen: Bist du Elija? Ich bin es nicht. Jesus sagt später von ihm: Wenn ihr so wollt, er ist der Elija, der vor dem Messias wiederkommen soll. Wiederum macht Jesus ihn groß.

Johannes der Täufer sagt von sich: Ich bin nicht einmal wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er muss wachsen, ich muss abnehmen, ich muss klein werden. Jesus sagt später über ihn: Unter allen Menschen, die in dieser Welt von einer Frau geboren sind, gibt es einen größeren als Johannes den Täufer.

 

Wer sich selbst erniedrigt, den wird Gott erhöhen. Wenn unser erstes Anliegen ist, Gott groß zu machen, dann ist es das Anliegen Jesu, dass wir groß werden. Unsere Größe leidet nicht darunter, dass wir uns ganz zurücknehmen können, und dass wir Jesus in den Mittelpunkt stellen.

Ich habe in einem früheren Impuls schon einmal darauf hingewiesen: Im Johannesevangelium sagt Johannes der Täufer über Jesus nur Großes. Aber Jesus sagt Großes über ihn. Johannes sagt über Jesus: Er ist der Bräutigam, weil er die Braut hat. Aber von sich selber darf er sagen: „Ich bin der Freund des Bräutigams.“ Und kann es etwas Größeres geben, als Freund des Bräutigams zu sein?

 

zurück zur Übersicht

In der Anfechtung

Mt 11,2-6

 

Noch einmal geht es in diesem Impuls um Johannes den Täufer. Ein wichtiger Aspekt fehlt uns noch. Aber lesen wir zunächst einen Abschnitt aus dem elften Kapitel des Matthäusevangeliums:

 

„Johannes hörte im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“ (Mt 11,2-6)

 

Johannes der Täufer war sich so sicher gewesen, was den Messias betrifft. Er hatte im tiefsten Herzen Klarheit: Dieser Jesus ist der Heiland der Welt. Als er am Jordan taufte, und als dann Jesus kam und sich taufen ließ, hatte Johannes erlebt, wie sich der Himmel öffnete, der Heilige Geist wie eine Taube auf ihn herabkam, und wie eine Stimme aus dem Himmel rief: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Seit diesem Augenblick hat er mit einer ganz großen Gewissheit auf IHN gezeigt: Er ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Er hat ganz klar geredet und hat keinen Zweifel gelassen: Der ist es.

 

Und jetzt sitzt Johannes der Täufer im Gefängnis. Dieser Mann, der die Weite der Wüster gewohnt war, sitzt in einem elenden Gefängnisloch. Und da geschieht es. Auf einmal zerbröselt ihm die ganze Sicherheit, die ganze Gewissheit, die er in Bezug auf die Person Jesu hatte, unter den Händen weg.

Auf einmal kommt ihm die Frage: Ist er es wirklich?

Vielleicht hatte Johannes die Antrittspredigt Jesu in Nazareth gehört. Dort hatte Jesus verkündet: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, er hat mich gesalbt, er hat mich gesandt, den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden. Er hat mich gesandt den Gefangenen zu verkünden, dass sie frei sein sollen.“

Und jetzt sitzt Johannes selbst im Gefängnis, und nichts tut sich. „Dass die Gefangenen frei sein sollen“, hatte Jesus verkündigt. Aber jetzt sitze ich im Gefängnis, und er hat mich nicht einmal besucht. Dabei bin ich doch sein Bote, sein Vorläufer, der ihm den Weg bereitet.

Und da beginnen die Zweifel in seinem Herzen zu nagen. Ob ich mich vielleicht doch getäuscht habe? Ob ich mich geirrt habe? Ob er es wirklich ist? Oder müssen wir auf einen anderen warten?

 

Viele von uns, gerade die Starken im Glauben, werden wohl einmal in so eine Situation kommen, dass plötzlich im Herzen der Zweifel hochsteigt. Ob das wohl alles so stimmt? Wieso soll denn das Wort der Bibel „Wort des lebendigen Gottes“ sein, wie der Lektor immer nach der Lesung sagt? Das sind doch menschliche Worte, wie die ganze andere Literatur auch. Ob das wohl so stimmt, dass Jesus Wunder gewirkt hat? Ob das stimmt mit der Auferstehung? Oder haben die Theologen recht, die behaupten, dass es gar keine Auferstehung gibt.

Und wenn dann noch Leid und Not uns im Leben befallen. Wieso gerade ich? Ich habe immer treu zum Glauben gestanden. Ich habe immer zu Jesus gehalten, und jetzt trifft mich das.

Da kann es sehr leicht sein, dass im Herzen solche bohrenden Fragen aufkommen: Ob ich mich getäuscht habe? Ob ich mich vielleicht geirrt habe, was Jesus betrifft, was den Glauben betrifft, was die Kirche betrifft?

 

Hier können wir von Johannes dem Täufer ein paar ganz wichtige Punkte lernen, wie man sich in solchen Krisen verhält.

Ein Erstes:

Als bei Johannes dem Täufer plötzlich der Zweifel aufbricht, da fragt nicht die Menschen: Ob er es ist, oder ob wir auf einen anderen warten müssen? Er geht mit seinen Zweifeln zu Jesus. Bist du es, der da kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten? Und wenn er nicht selbst zu Jesus gehen kann, weil er ja im Gefängnis sitzt, dann schickt er seine Jünger hin zu ihm. Bist du es, der da kommen soll? Ich muss Gewissheit haben. Wenn man im Gefängnis dem Tod ins Auge sieht, dann gibt man sich nicht mehr mit Sprüchen zufrieden. Ich muss über diese wichtige Frage Gewissheit haben. Bist du es der da kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?

 

Lasst uns hier einen Augenblick innehalten. Wenn Zweifel hochsteigen, dann geh mit diesen Zweifeln zu Jesus selber. Rede nicht mit anderen über diese Zweifel. Gut, das kann vielleicht auch einmal hilfreich sein. Aber geh vor allen Dingen hin, suche das Angesicht Gottes, sage es ihm persönlich. Bist du es? Stimmt das alles, was du damals getan hast? Geh hin und rede mit ihm im Gebet. Das ist eine ganz große Hilfe.

 

Noch ein Zweites können wir hier von Johannes lernen:

Was sagt Jesus denn als Antwort zu den Jüngern, die Johannes geschickt hatte. Er sagt ihnen: Geht zurück zu Johannes und erzählt ihm einfach, was ihr hört und seht.

Was haben sie denn gesehen? „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein. Taube hören, Tote stehen auf, den Armen wird die Frohe Botschaft verkündet.“ Sie hatten gerade miterlebt, wie Jesus in der Bergpredigt den Armen das Evangelium verkündet hatte. Vielleicht hatten sie miterlebt, wie Jesus den Gelähmten geheilt hatte, den sie durch das Dach heruntergelassen hatten. Vielleicht hatte er den Taubstummen gerade geheilt, und sie hatten das erlebt.

Sagt dem Johannes einfach das, was ihr seht und hört. Dann wird sein Glaube wieder stark werden, dann wird er Gewissheit bekommen.

 

Wenn man in einer solchen Glaubenskrise steckt, dann ist es eine ganz große Hilfe, wenn man in seinem eigenen Leben einmal zurückblickt, wenn man in seinem Leben den roten Faden Gottes sucht: Wo habe ich Gott wirklich erlebt? Wo habe ich erlebt, dass er eingegriffen hat in mein Leben, wo ich vielleicht kaum noch einen Ausweg sah? Wo habe ich Stunden erlebt, in denen ich völlig gewiss war.

Vielleicht gibt es manche Orte, die für Dich so eine prägende Bedeutung haben. Vielleicht gibt es Bücher, vielleicht gibt es Menschen, an denen Du damals deinen Glauben festgemacht hast. Geh zu denen hin, zu diesen Orten hin. Geh an diese Erfahrungen zurück, und knüpfe da wieder an. Und du wirst merken: Der Glaube, der Dir zu schwinden drohte, wird wieder wachsen und neue Kraft bekommen.

 

Noch ein Letztes, aber sehr Wichtiges:

Da sagt Jesus zu ihnen: „Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“ Auch so ein großer Gottesmann, wie Johannes der Täufer, muss sich dieser Entscheidung stellen. Will ich das annehmen, was ich sehe und höre, oder will ich Anstoß nehmen?

Vielleicht hatte er sich den Messias ja auch anders vorgestellt. Manches in seiner Bußpredigt deutet ja darauf hin, dass er den Messias erwartet hat wie einen Richter, der die Tenne durchfegt und klar Schiff macht. Und dann kommt dieser Jesus, dieser Messias ganz anders daher, wie ein Hirte. Ja, wie ein Richter, aber wie einer der auf-richtet, der etwas wieder her-richtet. Es kann sein, dass Johannes der Täufer das noch lernen musste in seiner Situation, dass dieser Messias ganz anders war.

Und dann stehst du plötzlich vor der Frage: Will ich Anstoß nehmen, oder will ich mich ihm ganz ausliefern? Es ist immer eine Entscheidung gefragt, damals wie heute.

 

Hier an diesem letzten Satz wird aber auch deutlich, wo der feine, aber auch entscheidende Unterschied liegt zwischen dem Bußprediger Johannes und Jesus. Wenn Johannes diesen Satz zu einem anderen gesagt hätte, dann hätte er möglicherweise formuliert: „Wehe euch, wenn ihr an ihm Anstoß nehmt.“ Jesus formuliert sachlich ganz genauso eindeutig. Es geht darum, Anstoß zu nehmen, oder nicht Anstoß zu nehmen. Aber Jesus kleidet das ganze in eine Seligpreisung. „Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“ Nicht: „Wehe euch, wenn ihr Anstoß nehmt.“

Das ist das Eigenartige und Ermutigende an der Botschaft Jesu. Dass er auf der einen Seite ganz klar die Entscheidungsfrage stellt und die Wahrheit sagt. Dass er aber auf der anderen Seite selbst Wahrheiten, die uns auf den ersten Blick unangenehm sind, so einkleidet, dass sie in Liebe gesagt sind, dass daraus eine Seligpreisung wird. „Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“

 

zurück zur Übersicht