Pfarrer Karl Sendker

Predigten - Hilfen zur Bibelarbeit

Gottesdienste - geistliches Leben

 

Impulse 5
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Keine Rolltreppe zum Himmel

 

6  Impulse

 

Bemüht euch mit allen Kräften  (Lk 13,22-24)

Geistlicher Kostenvoranschlag  (Lk 9,57-62)

Schlachtenbummler oder Jünger  (Lk 14,25-33)

Wenn ER heute wiederkäme   (Mt 25,1-13)

Zu spät !   (Lk 16,19-31)

Eine falsch gestellte Frage   (Mk 10,17-27)

 

 

Bemüht euch mit allen Kräften

Lk 13,22-24

 

Anfang der Sechzigerjahre wurden bei uns in Deutschland in den Kaufhäusern die ersten Rolltreppen eingebaut. Was war das eine segensreiche Erfindung für alle, die manchmal mit schweren Taschen beladen durch die Kaufhäuser liefen und unter der Last der eingekauften Sachen stöhnen mussten.

Ich kann mich noch erinnern: Als in meiner Heimatstadt die erste Rolltreppe im Kaufhaus eingebaut wurde, da haben wir Kinder Schlange gestanden, um einmal mit dieser Rolltreppe fahren zu dürfen.  Das Kaufhaus musste einen Mann abstellen, der genau eingeteilt hat, welche Kinder dran waren und welche Kinder nicht dran waren. Es war fast, als wenn man auf der Kirmes umsonst Karussell fahren zu durfte. Was war das schön, einfach unten aufspringen auf die Treppe, oben wieder abspringen, und zwischen durch ging alles wie von selbst. Rolltreppen, die auch runter gingen, gab es noch nicht. Runter musste man die Treppe noch zu Fuß gehen. Aber dann stellten wir uns unten in der Schlange an, um aufs neue aufzuspringen, hoch zu fahren und oben abzuspringen. Das war das Geheimnis der Rolltreppe.

 

Ich habe den Eindruck, dass viele Christen denken, im Christenleben sei das genauso wie bei einer Rolltreppe. Da springst du unten auf - man ist ja schließlich christlich getauft, hat das sogar schriftlich auf einem Taufschein. Und oben angekommen springt man ab - irgendwie gehört ja auch zum Christenleben auch eine kirchliche Beerdigung dazu. Zwischendurch geht alles ganz wie von selbst. Bei der Taufe unten aufspringen, und schon kommt man automatisch oben an. Da muss man oben nur den richtigen Absprung schaffen.

 

Diesem Denken setzt Jesus im Evangelium einen ganz scharfen Akzent entgegen. Ich lese hier einmal einige Verse aus dem Lukasevangelium: 

„Jesus zog auf seinem Weg nach Jerusalem von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und er lehrte. Da fragte ihn einer: Herr, sind es nur wenige gerettet werden? Er sagte zu ihnen: Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen. Denn viele, sage ich euch, werden versuchen hineinzukommen, aber es wird ihnen nicht gelingen.“ (Lk 13,22-24)

 

Das ist ein ganz anderes Bild als das Bild von der Rolltreppe. Unten aufspringen und oben abspringen, und alles andere geht wie von selbst. Jesus sagt: Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen. So möchte ich über diesen Impuls wie eine Überschrift schreiben: "Keine Rolltreppe zum Himmel"

 

Schauen wir uns diese Weisung Jesu einmal etwas näher an. Da sagt Jesus zunächst: „Bemüht euch mit allen Kräften.“ Das Neue Testament und damit auch das Lukasevangelium ist in griechischer Sprache geschrieben. Und dieser Ausdruck „bemüht euch mit allen Kräften“ heißt im Griechischen agonitzein. Daher kommt unser Fremdwort Agonie. Wenn jemand im Todeskampf liegt, dann heißt dieser Todeskampf Agonie. Und da sieht man schon: Das Christenleben ist nicht ein Schweben auf der siebten Wolkenbank, sondern es ist genau so wie bei einer Agonie, wo man die letzten Kräfte mobilisiert, die letzten Lebenskräfte, und sich aufbäumt gegen das Sterben. Und dieses Wort gebraucht Jesus hier: „Bemüht euch mit allen Kräften“.

 

Wenn jemand ernsthaft versucht, nach dem Willen Gottes zu leben, dann wird er sehr schnell merken, dass dieses Leben Kampf ist. Zunächst einmal Kampf gegen den inneren Schweinehund, gegen die eigene Bequemlichkeit, gegen das Streben nach Selbstverwirklichung. Die Angst, dass ich zu kurz komme, wenn ich den Willen Gottes tue. Das ist wie eine Last, die uns hindert.

Es aber auch Kampf gegen Widerstände von anderen Menschen. Wenn du nach dem Willen Gottes leben willst, dann wirst du viele Menschen treffen, die dir vorhalten: Du bist Verrückt. Das darf man alles nicht so eng sehen. Das ist ja fanatisch. Du gehörst zu den Fundamentalisten. Und was man sonst noch solchen Leuten heute nachsagt. Jeder soll sich auf Kampf einstellen.

Wer ernsthaft ein Leben nach dem Willen Gottes führen will, muss auch mit Widerständen rechnen aus der unsichtbaren Welt. Der Teufel ist daran interessiert, dass wir den Willen Gottes nicht tun. Solange wir nur so auf einer religiösen Welle mitschwimmen, was man so im Religiösen tut, brauchst du nicht mit Widerstand zu rechnen. Aber wenn du dich entschieden auf die Seite Gott stellst, dann rechne damit, dass dieses Leben Kampf ist. „Bemüht euch mit allen Kräften.“

 

Dieses griechische Wort agonitzein oder entsprechende Hauptwort Agoon wird auch gebraucht im sportlichen Wettkampf. Wenn Jesus sagt: „Bemüht euch mit allen Kräften“, dann hat er das Bild von einem Sportler vor Augen, der in den Startlöchern steht und mit angespannter Kraft nur darauf wartet, dass der Startschuss fällt. Und er gibt das Äußerste in diesem Wettkampf.

 

Jeder, der als Sportler über den Durchschnitt hinauskommen will, muss trainieren, der muss üben, täglich üben. Ich habe einmal eine Gruppe von Messdienern auf einer Freizeit begleitet. Da sagte mir ein dreizehnjähriger Messdiener, der im Schwimmverein war, dass er mit Ausnahme von Samstag und Sonntag jeden Tag zwei Stunden trainieren muss, neben seinen Hausaufgaben und seiner Freizeit. Jeden Tag für den Schwimmverein zwei Stunden trainieren.

Sagen Sie einmal jemandem, er soll sich jeden Tag zwei Stunden Zeit für Gott nehmen, um sich in Geistlichem zu üben, sich weiterzubilden. Da bekommst du den Vogel gezeigt. Da sagen die Leute: Wo soll ich denn die Zeit hernehmen? Für die meisten von uns ist es ja so, dass mit dem Abschluss der Schule die religiöse Weiterbildung aufgehört hat. Wir gehen vielleicht noch zum Gottesdienst, aber ein Einüben in den Glauben, in das geistliche Leben, wo findet das dann statt, in Regelmäßigkeit statt? Aber vielleicht ist auch gerade deswegen unser Christenleben oft so saft- und kraftlos, so lustlos, weil wir nicht mehr trainieren, weil wir meinen, im geistlichen Leben geht das alles wie von selbst, so wie bei einer Rolltreppe. Aber es geht nicht. Wenn jemand als Sportler oben auf dem Treppchen stehen will, dann muss er alles geben, sonst gelingt das nicht. Und wenn jemand ein Mann oder eine Frau sein möchte, mit der Gott hier in dieser Welt sein Reich baut, dann geht das nur, wenn wir alles geben. „Bemüht euch mit allen Kräften“, sagt Jesus.

 

Jesus gebraucht aber noch ein zweites Bild: „Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen.“

Das erste Bild war: „Bemüht euch mit allen Kräften“. Das zweite Bild spricht von der engen Tür.

 

In meiner Studienzeit bin ich einmal mit einigen Studienkollegen im Allgäu in den Bergen gewandert. Wir sind den so genannten Heilbronner Weg gegangen. Da liefen wir zehn Tage lang auf einer Höhe von zweitausend Metern. Wir sind wir von einer Hütte zu anderen gewandert ohne ins Tal abzusteigen. Sie können sich vorstellen, wenn man zehn Tage unterwegs ist, dass unsere Rucksäcke prall gefüllt waren mit Verpflegung und Wäsche. Wir hatten alles dabei. In der Studienzeit konnten wir uns nicht leisten, in jeder Hütte auch noch ein komplettes Essen kaufen. Damals waren die Rucksäcke nicht so schmal und hoch wie heute, sondern sie waren breit und ausladend, weil man außen noch Seitentaschen zusätzlich anschnallen konnte. Heute sind die Rucksäcke viel moderner und praktischer geworden, aber damals waren sie breit und ausladend. Als wir damals auf dem Heilbronner Weg unterwegs waren, da kamen wir an eine ganz schmale Felsspalte, das so genannte „Heilbronner Törle“. Da muss man durch. Aber mit unseren breiten Rucksäcken wir kamen durch diese Felsspalte, durch dieses Heilbronner Törle nicht durch. Es blieb uns nichts anderes übrig, als den Rucksack abzuschnallen, die Seitentaschen abzuschnallen, und dann nach und nach die Rucksäcke und die Seitentaschen durch diese Felsspalte zu schieben, durch das Heilbronner Törle.

 

Vielleicht ist das auch ein Bild, das zu unserem Evangeliums passt, wenn Jesus sagt: „Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen.“ Durch die Tür ins Reich Gottes kommst du nur, dann wenn du deinen Rücken nicht voll hast mit allem möglichen Ballast. Möglicherweise wird dir nichts anderes übrig bleiben, als den Rucksack deines Lebens abzusetzen und erstmal Ballast abzuladen, damit du durch diese enge Tür gehen kannst.

 

Von solchem Ballast redet das Neue Testament in mancherlei Hinsicht. Solcher Ballast, Dinge die wir ablegen müssen, kann zum Beispiel Sünde sein, die wir festhalten.

Nicht dass Sünde vorkommt in unserem Leben, ist das Problem, aber jeder hat ja so seine Sünden, an denen er festhält, seine Lieblingssünden, von den wir so schwer lassen können. Und das kann wie eine lähmende Bleidecke sein, wie ein Ballast auf unserem Rücken, der uns hindert, durch diese enge Tür zu kommen.

 

Wenn wir so ein Wort hören: „Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen“, ob es nicht vielleicht sinnvoll ist, auch das Sakrament der Versöhnung, das Bußsakrament wieder ganz neu hoch zu schätzen? Es geht ja nicht in erster Linie um Buße als Selbstzweck, sondern es geht darum, den Ballast loszuwerden, der uns hindert, diesen Lauf zu laufen.

Um noch einmal das Bild vom Sportler aufzugreifen: Haben Sie schon einmal einen Sportler gesehen, der mit einem vollen Rucksack einen Hundertmeterlauf oder Langstreckenlauf macht? Aber wir meinen manchmal, mit dem ganzen Ballast, der uns nur hinderlich ist, könnten wir den Lauf unseres Lebens vollenden, und könnten durch die enge Tür gelangen.

 

Solcher Ballast, den wir ablegen müssen, ist aber nicht nur Sünde. Solcher Ballast können auch Sorgen sein. Sorgen können uns furchtbar lähmen und uns an einem frohen christlichen Leben hindern. Aber dann entsteht die Frage: Wo laden wir unsere Sorgen ab? Das ist in diesem Zusammenhang eine ganz wichtige Frage.

 

Solcher Ballast, der uns hindert, kann auch eine falsche Freundschaft sein, die man dann abbrechen müsste. Wie oft habe ich das erlebt gerade bei jungen Leuten, die einmal ehrlichen Herzens einen Weg mit Jesus begonnen haben. Dann haben sie einen Freund oder eine Freundin gefunden oder einen Partner, der mit Glauben nichts mehr zu tun hatte, und dann sind sie total wieder abgerutscht und den Weg dieser Welt gegangen. So eine Freundschaft kann Ballast sein, wenn wir den Weg mit Jesus gehen wollen, wenn wir durch die enge Tür gelangen wollen.

 

Solcher Ballast in unserem Leben kann auch Literatur sein, die ich lese. Wenn meine geistige Nahrung, die ich als Jugendlicher aufnehme, nur in „Bravo“ besteht oder als Erwachsener in allen möglichen seichten Illustrierten, dann darf ich mich nicht wundern, dass diese geistliche Nahrung mein Leben prägt und mich runterzieht.

Der Apostel Paulus hat einmal geschrieben: „Was der Mensch sät, das wird auch ernten.“ Was ich in meinen inneren Computer einspeichere, das gibt der Computer auch wieder aus. Und das kann ein furchtbarer Ballast sein, den ich mitschleppe, der mein Leben prägt, der mich hindert an einem frohen Christenleben.

 

Solcher Ballast kann auch ein Hobby sein, das mich so in Beschlag nimmt, das sich nicht mehr die Zeit finde, mich mit den Dingen Gottes und mit seinen Willen zu beschäftigen.

Viele Dinge können zum Ballast werden, auch viele Dinge, die an und für sich gut sind. Und da sagt uns Jesus und der Hebräerbrief: Wirf diesen Ballast weg. Leg diesen Ballast ab, damit du frei wirst für den Lauf Gottes, und damit du durch die enge Türe hindurch kommst.

 

Ein Drittes, und das muss ich jetzt als Ergänzung sagen, damit das Ganze nicht einseitig wird: Eins gilt auch: Wen der Teufel nicht zum Bösen verführen kann, den verführt er dazu, das Gute zu übertreiben. Dann nimmt man sich alle möglichen Dinge vor und kommt in eine geistliche Trimm-dich-Spirale. Und irgendwann dreht man dabei durch.

 

Jesus sagt im zehnten Kapitel des Johannesevangeliums: „Ich bin die Türe.“ Und wenn er von der engen Tür redet, durch die wir ins Himmelreich gelangen, dann ist das nicht eine Summe von Vorschriften, von Gesetzen oder Unterlassungen, die er uns auferlegt, sondern es ist die Einladung: „Ich bin die Türe, und wer durch mich ein und aus geht, der wird Weide finden, saftige Weide, der wird die Fülle des Lebens haben.“

 

Darum geht es bei dieser Weisung Jesu: „Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen.“ Letztlich geht es nur um dieses eine: Erkenne Jesus als deinen Herrn, halte dich an ihn. Lass dich durch ihn auf die Weide führen, dass er für dich das Tor werden kann zu einem Leben in Fülle.

In dem Augenblick, wo du Jesus hast, führt er dich in die Weite. Ein Leben mit Jesus ist ein Leben in Fülle. In einem Psalmwort heißt es einmal: „Du hast meine Schritte auf weiten Raum gesetzt.“ Das ist es, was er tut.

Das Ziel ist nicht, dass ich in die Enge getrieben werde, sondern das Ziel ist, die Weite zu erleben, die Freiheit zu erleben, die hinter der engen Türe liegt.

 

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Geistlicher Kostenvoranschlag

 Lk 9,57-62

 

Wenn einer ein Haus bauen will, dann setzt er sich vorher hin und macht einen Kostenvoranschlag. Je größer das Bauvorhaben ist, umso genauer muss der Kostenvoranschlag sein, müssen die Kosten kalkuliert werden, damit man nicht am Ende dasteht als einer, der sich verkalkuliert hat, der den Bau nicht vollenden konnte.

 

Wir Christen sind berufen, in dieser Welt am größten „Bauwerk“ der Weltgeschichte mitzuarbeiten. Es ist unsere Berufung, in dieser Welt das Reich Gottes mit zu bauen. Es ist unsere Berufung, mitzuhelfen, dass sich die Herrschaft Gottes in dieser Welt durchsetzen kann. Aber es ist genau wie bei einem normalen Bauwerk: Man muss zuerst einmal einen Kostenvoranschlag machen und die Kosten berechnen.

Und davon spricht der folgende Text aus dem Lukasevangelium.

 

„Als sie auf ihrem Weg weiterzogen, redete ein Mann Jesus an und sagte: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst. Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben. Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes! Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich von meiner Familie Abschied nehmen. Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“ 

(Lk 9,57-62)

 

Geistlicher Kostenvoranschlag, das möchte ich als Überschrift über diesen Impuls setzen. Ein geistlicher Kostenvoranschlag in drei Punkten. Den wollen wir uns heute einmal anschauen.

 

Ein Erstes:

Da kommt ein Mann in seiner ganzen Begeisterung zu Jesus und sagt ihm: „Ich will dir folgen, wohin du auch gehst.“ Er hat das Wirken Jesu erlebt in Zeichen und Wundern, wie er Dämonen ausgetrieben hat, wie er fünftausend Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen gespeist hat. In seinem ganzen Überschwang kommt er zu Jesus: „Ich will dir folgen, wohin du auch gehst.“

Und Jesus schaut ihn an und sagt ihm: Meinst du das wirklich ernst? Wenn du das ernst meinst, dann bedenke die Kosten. Denk daran: jeder Fuchs hat seine Höhle und jeder Vogel hat sein Nest. Aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo sein Haupt hinlegen kann.

 

Natürlich hat Jesus nachts irgendwo geschlafen, das ist damit nicht gemeint. Was damit gemeint ist, ist etwas viel tiefer Gehendes: Jesus hat in dieser Welt im tiefsten keine Verwurzelung gehabt, er hat im tiefsten keine Heimat in dieser Welt gehabt. Ganz gleich wo er hinkam, war er ein Fremdkörper, ein Fremdling. Selbst da, wo die Menschen normalerweise ihr tiefste Verwurzelung haben, in der eigenen Familie, da hat Jesus erleben müssen, dass seine eigenen Angehörigen ihn in seiner Sendung überhaupt nicht verstanden haben.

Eines Tages drängen sich die Menschen um Jesus, und er hat sich Zeit für sie genommen, so dass er nicht einmal Zeit fand für das Mittagessen. Dann kommen seine eigenen Angehörigen zu ihm und sagen: „Der spinnt! Der ist fanatisch geworden.“

Das tut weh, wenn man bei seinen eigenen Angehörigen spürt: Ich hab da keine Verwurzelung.

 

Das gibt es übrigens heute auch. Wie viele Ehepartner haben mir gesagt: Ich muss in meiner Ehe meinen Glauben leben gegen den Widerstand meines Ehepartners, der überhaupt kein Verständnis dafür hat. Das ist schwer, das kostet Kraft.

Oder: Manches Mal haben mir Eltern gesagt: Wir müssen unseren Glauben in der Familie leben unter dem Spott der heranwachsenden Kinder. Wenn wir bei Tisch beten, dann grinsen unsere heranwachsenden Söhne und Töchter und machen sich darüber lustig. Das schmerzt, das sind die Kosten.

 

Aber es ist nicht nur in der Familie so. Jesus hat auch in seiner „Kirche“, damals die jüdische Synagoge, keine Beheimatung gehabt. Die Priester, die Theologen und Schriftgelehrten haben von Jesus gesagt: Der ist mit dem Teufel im Bund. Durch die obersten der Dämonen treibt er die Dämonen aus. Und schließlich haben die obersten Vertreter des Judentums Jesus als Gotteslästerer ans Kreuz schlagen lassen. Jesus hat auch in seiner eigenen Kirche keine Verwurzelung gehabt.

 

Auch das gibt es heute. Ich habe mehrmals erlebt: Wenn junge Menschen in sich die Berufung gespürt haben, Priester zu werden oder ins Kloster zu gehen, dass dann gestandene Gemeindemitglieder immer wieder versucht haben, ihnen das auszureden. Ich habe auch manches Mal erlebt, das selbst Priester in unserer Kirche kaum Verständnis dafür hatten, wenn Jugendliche in ihrer großen Begeisterung für Jesus ihm nachfolgen wollten. Das ist schmerzlich.

Ich habe manches Mal miterleben müssen, dass Leute aus der katholischen Kirche ausgetreten und zu den Freikirchen gegangen sind, zu den Baptisten. Die haben diesen Schritt nicht getan, weil sie vom Glauben abgefallen sind, sondern weil sie in ihrer Begeisterung für Jesus in unserer katholischen Kirche keinen Nährboden gefunden haben.

 

Hier gilt dieses Wort Jesu: Wenn du mir folgen willst, dann denkt daran: Der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.

 

Ein zweiter Punkt in unserem geistlichen Kostenvoranschlag:

Da sagt Jesus zu einem: „Folge mir nach!“ Und der erwidert: „Lass mich zuerst hingehen und meinen Vater begraben.“ Und Jesus antwortet ihm: „Lass die Toten ihre Toten begraben. Du aber geh und verkünde das Reich Gottes.“

Das ist auf den ersten Blick ein hartes Wort: „Lass die Toten ihre Toten begraben!“ Aber für die damaligen Ohren klingt das nicht so hart, wie es für uns heute klingt. Damit ist nicht gemeint, dass der Vater dieses jungen Mannes gerade gestorben war, und der ihn jetzt beerdigen will. Wahrscheinlich ist damit etwas anderes gemeint. Wahrscheinlich lebt der Vater noch. Und die Bitte des jungen Mannes bedeutet: Lass mich noch so lange zuhause bleiben, bis mein Vater gestorben ist, und ich ihn gut unter die Erde gebracht habe.

Dann bedeutet die Antwort Jesu: Es gibt eine Bindung, die ist stärker als die tiefsten menschlichen Bindungen, selbst die tiefsten familiären Bindungen. Und das ist die Bindung an den Willen Gottes.

 

Auch hier ein Beispiel aus dem Leben Jesu: Eines Tages kommen seine Mutter und seine Angehörigen zu Jesus. Er ist gerade im Haus und predigt zu vielen Leuten. Nun kommen einige und sagen ihm: „Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und suchen dich.“ Da sagt Jesus: Meine Mutter meine Brüder – er schaut sich um und blickt auf die, die ihm zuhören -  meine Mutter meine Brüder, das sind die, die das Wort Gottes hören und befolgen. Das bedeutet: Jesus stiftet eine neue geistliche Familie. Diejenigen, die das Wort Gottes hören und befolgen, die sind ihm näher, als die Menschen mit den er blutsverwandt ist.

Oder ein anderes Beispiel aus dem Leben Jesu: Jesus hat einen irdischen, einen menschlichen Freund gehabt, das war der Lazarus, den er von den Toten auferweckt hat. In der Geschichte heißt es ausdrücklich, dass Jesus mit ihm befreundet war. Jesus hat auch im Kreis der Apostel einen Lieblingsjünger gehabt, das war der Johannes Aber als es darum geht, wer der Fels der Kirche sein soll, da hat ihm der Vater im Himmel gezeigt: Nicht dein Freund Lazarus und auch nicht dein Lieblingsjünger Johannes, sondern der Petrus soll der Fels der Kirche werden. Und mit dem Petrus hat Jesus weiß Gott Schwierigkeiten genug gehabt. Aber wenn es um die Dinge des Reiches Gottes geht, dann müssen menschliche Vorlieben zurücktreten. Da geht es allein darum, den Willen des Vaters zu tun, das zu tun, was der Vater ihm jetzt aufträgt.

 

Und das gilt heute genauso. Ich habe manches Mal erlebt, dass Menschen nach ihrer Bekehrung zu einem lebendigen Glauben gekommen sind. Dann haben sie mir gesagt: „Komisch, mit meinen bisherigen Freunden und Bekannten komme ich überhaupt nicht mehr klar, die verstehen mich überhaupt nicht mehr. Es scheinen alle Kontakte abzureißen.

Auf der anderen Seite hat diese Hinwendung zu Jesus ihnen auch neue tiefe geistliche Gemeinschaft geschenkt mit anderen Menschen, Beziehungen, die sie vorher so nicht hatten. Jesus stiftet eine neue geistliche Familie. Was unsere irdischen Vorlieben sind, unsere irdischen Beziehungen sind, die treten auf einmal ins zweite Glied, und sind nicht mehr an der ersten Stelle.

 

Ein Drittes in diesem geistlichen Kostenvoranschlag:

Es gibt eine Gruppe, denen sagt Jesus auf den Kopf zu: Du bist untauglich für das Reich Gottes“

Das sagte nicht über einen Sünder. Jesus hat nie zu einem Sünder gesagt: Du bist untauglich. Aber eine Gruppe gibt es, denen sagte Jesus auf den Kopf zu: Untauglich!

Da kommt einer und sagt: Ich will dir nachfolgen. Aber zuerst lass mich von meiner Familie Abschied nehmen.

Kennen Sie solche Leute, die sagen „Ja ich will mich wohl zu Jesus bekehren, aber da ist mein Geschäft, zuerst kommt einmal mein Hobby, zuerst kommt einmal meine Familie, zuerst kommt das Häuschen. Alle anderen Dinge kommen zuerst. Und wenn dann noch Platz bleibt: Natürlich will ich Jesu nachfolgen. Aber jetzt sind andere Dinge zuerst dran.

Und zu solchen Menschen sagte Jesus: Untauglich!

 

Ich werde nie eine Begebenheit vergessen aus meiner frühen Kaplanszeit. Da hatte ein Schüler des Gymnasiums Schulentage mitgemacht, heute sagt man Tage religiöser Orientierung, und er hatte einen ersten aber entscheidenden Schritt auf Jesus zugetan. Vorher hatte er mit Glauben nicht viel zu tun gehabt, aber er hatte gespürt: Da ist etwas. Und er hatte einen ersten Schritt getan. Dann hat er sich angemeldet zu einem Exerzitienkurs für Jugendliche in einem Benediktinerkloster. Ich muss gestehen, ich habe mich gefreut, weil ich spürte: Da lässt Gott etwas wachsen.

Aber dann, kurz bevor dieser Exerzitienkurs beginnen sollte, ruft mich der Vater dieses Schülers an und sagt: „Herr Kaplan, ich muss meinen Sohn von den Exerzitien wieder abmelden.“ Ich hab ihn gefragt: „Warum denn?“ „Ja wissen Sie, mein Sohn hat in drei Wochen seine Klausuren und da kann er sich das jetzt nicht leisten, ein ganzes Wochenende wegzufahren. Jetzt sind doch erst einmal die Klausuren dran. Natürlich ich bin ja auch dafür, dass mein Sohn wieder zur Kirche geht. Aber jetzt sind die Klausuren wichtiger. Das müssen Sie doch verstehen.“

Als wenn es wichtig wäre, dass ich das verstehe. Das ist doch nicht das Entscheidende. Aber tief in meinem Herzen war ein großer Schmerz, weil ich spürte: Diese Haltung, die der Vater an den Tag gelegt hat, dazu sagt Jesu: „Untauglich! Untauglich für das Reich Gottes.

 

ich muss noch eine Ergänzung machen, damit diese ganze Sache jetzt nicht einseitig wird. Jesus fordert alles, eine ganze Hingabe. Aber er schenkt auch alles. Petrus hat einmal Jesus gefragt: „Herr, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was wird uns dafür zuteil werden?“ Darauf antwortete Jesus dem Petrus: „Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Häuser, Mütter, Väter, Kinder, Äcker usw. verlässt, der wird es hundertfältig wiederbekommen, hier in dieser Welt: Mütter, Brüder Schwestern, Häuser, Äcker, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.

Und kurz vor seinem Sterben hat Jesus seine Jünger gefragt: „Damals, als ich euch gerufen habe und ausgesandt habe, hat es euch da an irgendetwas gemangelt?“ Und sie antworten ihm: „An nichts hat es uns gemangelt.“

 

Jesus schenkt alles hundertfältig hier in dieser Welt. Es ist nicht meine Vertröstung aufs Jenseits. Jesu schenkt alles, aber er erwartet auch eine ganze Hingabe.

Schließen möchte ich mit einem Satz, den ich irgendwann einmal gelesen habe. Ich weiß nicht, von wem er stammt, aber er hat mich auch sehr betroffen gemacht. Da hat jemand geschrieben: „Ein halber Christ ist ein ganzer Unsinn.“

 

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Schlachtenbummler oder Jünger

Lk 14,25-33

 

In dieser Impulsreihe haben wir das Rahmenthema „Keine Rolltreppe zum Himmel“. Dieser Impuls schließt in gewisser Weise noch einmal an den letzen Impuls an. Der hatte ja als Thema „Ein Geistlicher Kostenvoranschlag“ Wir lesen zunächst wieder einen Abschnitt vor aus dem Lukasevangelium:

 

„Viele Menschen begleiteten Jesus; da wandte er sich an sie und sagte: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertig stellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen. Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, solange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden. Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.“  (Lk 14,25-33)

 

Wenn es auf dem Fußballplatz nach der Lautstärke ginge, dann wären die wichtigsten Leute auf dem Fußballplatz die Schlachtenbummler. Jeder Verein hat seinen Fanclub und seine Schlachtenbummler. Die stehen immer im Stadion und feuern ihre Mannschaft an. Hat die Mannschaft ein Heimspiel, sind sie dabei. Hat ihre Mannschaft ein Auswärtsspiel, fahren sie mit Bussen hinterher. Diese Schlachtenbummler sind immer mit dabei und feuern ihre Mannschaft an. Man könnte wirklich meinen: Die Schlachtenbummler seien die wichtigsten Leute auf dem ganzen Platz.

Aber wenn die Mannschaft da unten auf dem Rasen nicht das bringt, was die Schlachtenbummler erwarten, wenn sie nicht die Leistung bringt, die man sich auch von ihnen erwartet, dann hagelt es Pfiffe und Buh-Rufe. Oder aber: die Schlachtenbummler kommen einfach nicht mehr und bleiben zuhause.

 

Solche Schlachtenbummler hat auch Jesus gehabt, Menschen, die immer dabei waren, die ihn überallhin begleitet haben. Am Anfang dieses Evangeliumsabschnitts heißt es: „Viele Menschen begleiteten Jesus“. Die sind immer dabei. Wenn Jesus am Ufer des Sees ist, dann sind sie dort. Wenn Jesus mit dem Boot über den See fährt, sie dann laufen sie zu Fuß um den See, um möglichst noch vor ihm auf der anderen Seite anzukommen. Geistliche Schlachtenbummler!

Als Jesus den Gelähmten heilt, den sie durch das Dach herunterlassen mussten, weil die Menschenmenge sich so sehr um Jesus gedrängt hat, dass die vier Träger mit ihrer Bahre überhaupt nicht durch die Tür hereinkamen, da heißt es am Ende der Geschichte: Die Menge war außer sich. Da steht im Griechischen: Sie waren in Ekstase. Und sie sagten: „So etwas haben wir noch nie gesehen!“

Nach der Brotvermehrung, als Jesus mit fünf Broten und zwei Fischen 5000 Männer satt gemacht hat (Die Frauen und Kinder nicht einmal mitgerechnet.), da kommen diese Schlachtenbummler und wollen Jesus zum König machen. Wenn der unser König ist, dann ist das wichtigste Problem der Menschheit, nämlich die Frage des Hungers, gelöst.

Und schließlich, als Jesus wenige Tage vor seinem Sterben in Jerusalem einzieht, da bereiten sie ihm in Jerusalem einen triumphalen Empfang. Sie legen ihre Kleider wie Teppiche über die Straße. Sie brechen Palmzweige von den Bäumen ab und winken ihm zu: „Hosanna dem Sohne Davids!“ Geistliche Schlachtenbummler.

 

Aber es ist gefährlich, wenn man im geistlichen Leben nur Schlachtenbummler ist. Die gleichen Menschen, die am Palmsonntag in Jerusalem gejubelt haben, bei denen ist es genau wie auf einem Fußballfeld. Wenn dieser Jesus nicht mehr das bringt, was die Leute von ihm erwartet haben, etwa die Befreiung vom Joch der römischen Besatzungsmacht, dann schreien die gleichen Leute ein paar Tage später auch: „Kreuzige ihn!“ Oder aber sie gehen weg wie nach der Brotvermehrung.

Als Jesus ihn da erklärt, dass es nicht darum geht, einen vollen Magen zu haben, sondern dass er selbst das Brot des Lebens ist, dann steht da so ein lapidarer Satz: Daraufhin zogen sich viele Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit ihm umher. Nur noch die Zwölf sind geblieben.

 

Es ist gefährlich, wenn man geistlicher Schlachtenbummler ist. Jesus hat nicht einen Fanclub gegründet, er hat Jünger berufen in seine Nachfolge. Schlachtenbummler sein, das kostet nicht viel, da braucht man nur eine laute Stimme. Aber wenn einer wirklich Jünger sein will, das kostet einen hohen Preis. Und von diesem Preis redet Jesus im Evangelium, das diesem Impuls zugrunde liegt.

 

Der Preis, den das Jüngersein kostet, den benennt Jesus zunächst einmal als Gesamtsumme. Da sagte er: „Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.“ Das ist der Preis der Jüngerschaft. Diesen Weg über das Kreuz wird jeder Jünger geführt. Das kann sehr unterschiedlich aussehen im Leben des einzelnen, aber letztlich gesehen geht es immer um diesen Preis: Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.

 

Nun müssen wir allerdings aufpassen. Kreuzesnachfolge das bedeutet nicht, jedes Wehwehchen zu ertragen, auch nicht, alle Schwierigkeiten des Lebens geduldig auf sich zu nehmen.

Dieser Gesamtpreis Kreuzesnachfolge wird von Jesus in einzelne Teilsummen aufgeschlüsselt.

 

Die erste Teilsumme in diesem Gesamtpreis Kreuzesnachfolge heißt: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.“

Das ist auf den ersten Blick ein hartes Wort. Aber wir müssen eins sehr deutlich sagen: Jesus will hier nicht Lieblosigkeit predigen dem Ehepartner gegenüber. Jesus will auch nicht das vierte Gebot außer Kraft setzen: Du sollst Vater und Mutter ehren. Hier geht es um etwas ganz anderes.

Es gibt im Leben eines Menschen etwas, das wichtiger ist als die Bindung an Vater und Mutter, an Mann oder Frau. Das ist die Bindung an den Willen des Vaters im Himmel. Und wenn die Beziehung zu meiner Familie in Gegensatz, in Opposition gerät zu dem, was Gott will, dann wird man sehr schnell merken, dass das Kreuz bedeutet.

Da ist etwa eine Ehefrau, die möchte gern am Sonntagmorgen zur Kirche gehen, und der Mann will gerne ausschlafen. Er war abends zum Kegeln und möchte jetzt um 10 Uhr frühstücken. Schon ist der Konflikt da. Das sieht nur klein aus, aber so ein Leben kann Kreuz werden. Oder wenn Kinder gegen den Glauben der Eltern sind, und die Eltern ihren Glauben leben müssen unter den spöttischen Blicken der heranwachsenden Kinder, das kann Kreuz werden. Das ist wie eine Zerreißprobe, weil die Eltern ihre Kinder ja lieb haben, und weil ein Ehepartner den anderen ja wirklich lieb hat. Und dann steht die Liebe in diesen menschlichen Beziehungen in Konkurrenz zum Willen Gottes.

 

Das Zweite, was Jesus als Abschlagssumme nennt in dieser Gesamtsumme Kreuzesnachfolge: „Wer nicht sogar sein Leben gering achtet, kann nicht mein Jünger sein.“

Auch hier muss man vorsichtig sein. Jesus will uns nicht die Freude am Leben vermiesen, ganz und gar nicht. Was hier gemeint ist, ist etwas anderes. Es macht sich heute in unserer Gesellschaft ein Egoismus breit, der vielleicht in dieser Form so noch nie da war. Es geht immer nur darum, dass ich im Mittelpunkt stehe, dass ich meine Meinung durchsetzte, dass ich mein Recht bekomme. Und immer weniger kommt der Andere ins Blickfeld.

Achten Sie einmal darauf in einer Diskussion. Wenn da einer seine Meinung geäußert, dann hören die anderen oft gar nicht mehr hin, was der eine sagt. Während der eine redet, überlegt jeder schon: Was sag ich gleich als Entgegnung darauf.

Nicht der Andere mit seinem Beitrag ist im Blick, sondern das, was ich gleich darauf antworten kann. Nicht umsonst ist eines der Hauptschlagworte unserer Zeit das Wort „Selbstverwirklichung“.

Aber wenn heute so dominierend im Mittelpunkt die Selbstverwirklichung steht, dann ist das genau entgegengesetzt zur Haltung, die Jesus an den Tag gelegt hat. Jesus ging es nicht um Selbstverwirklichung sondern um Selbstverleugnung. Und das ist eine Haltung, die heute nicht „in“ ist.

Aber jeder, der heute in unserer Welt Selbstverleugnung leben will, der wird sehr schnell merken, dass das Kreuz bedeutet. Wenn mein eigenes Ich mit dem Willen Gottes in Konkurrenz kommt, das ist Kreuz.

 

Schließlich noch ein Drittes, eine dritte Teilsumme in der Gesamtsumme Kreuzesnachfolge. Da sagt Jesus am Ende: „Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.“

Das klingt wieder sehr hart. Aber man muss auch darauf hinweisen, dass das ist in der Einheitsübersetzung falsch übersetzt ist. Wenn die Einheitsübersetzung richtig wäre, dann hätte ja keiner von uns die Chance, ein Jünger zu sein. Oder wir müssten es alle so machen wie der heilige Franziskus. Aber ist habe einmal im griechischen Text nachgesehen. Man müsste diesen Vers übersetzen: „Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er sich nicht von seinem ganzen Besitz „lossagt“.

Hier geht es nicht darum, wie viel Geld ich im Portmonee habe oder auf meinem Konto. Hier geht es um etwas anderes, und das ist eine Herzensangelegenheit. Hier geht es um die Frage: Besitze ich die Güter dieser Welt, oder besitzen die Güter dieser Welt mich? Bin ich so sehr an meinem Besitz gebunden, dass mein Herz nicht mehr frei ist?

In Psalm 62 heißt es einmal: „Wachsen auch eure Güter, so hängt nicht euer Herz daran.“ Darum geht es.

In ähnlicher Weise hatte das Papst Johannes Paul II. bei seinem ersten Deutschlandbesuch zum Ausdruck gebracht, wenn er sagte: „Ein Problem entsteht dann, wenn der Lebensunterhalt zum Lebensinhalt wird.“

 

Haben wir noch die innere Freiheit dem Besitz gegenüber, die der Apostel Paulus hatte, wenn er im Philipperbrief schreiben kann: „Ich kann arm sein, und ich kann reich sei. Ich kann Mangel haben und Überfluss. In alles bin ich eingeweiht.“ Seine Lebensqualität hängt nicht von den Besitztümern ab, sondern seine Lebensqualität ist Christus. Haben wir noch diese Freiheit dem Besitz gegenüber?

 

Ich will es in einem Beispiel sagen: Wenn jemand nichts in der Tasche hat und in diesem Sinn arm ist, aber er ist mit seinen Gedanken und mit seinem Herzen immer bei dem Reichtum, den die anderen haben, den er selbst aber nicht hat, dann ist ein solcher Mensch gebunden an Reichtum, auch wenn er de facto nichts im Portmonee hat. Dann ist sein Herz gebunden, dann ist er jemand, von den Jesus sagen würde: Er kann nicht mein Jünger sein.

 

Oder um es einmal ins Positive zu wenden: Vor vielen Jahren habe ich einmal einen evangelischen Christen getroffen, der sagte so beiläufig im Gespräch: Ich habe Gott gefragt, was ich mit meinem Geld machen soll?

Ich muss ehrlich gestehen: Bis dahin war ich noch nie auf die Idee gekommen, Gott zu fragen, was ich mit meinem Geld machen soll. Was hat denn Gott damit zu? Und wenn eine besondere Kollekte gehalten wird für Adveniat, für Misereor, für die Caritas, dann habe ich selbst entschieden, wie viel ich geben soll.

Aber dieser Mann hatte Gott gefragt, was er mit seinem Geld machen soll.

Eins hab ich im Laufe der Jahre auch festgestellt: Wenn jemand sagt: Ich liebe Jesus, aber der soll mir vom Portmonee wegbleiben, dann glaube ich ihm diese Liebe nicht.

 

Das verbirgt sich hinter dem Jesuswort: „Wer nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet, wer sich nicht von seinem ganzen Besitz lossagt, der kann nicht mein Jünger sein. Du brauchst diese innere Freiheit den Gütern dieser Welt gegenüber.

 

Ich will noch einmal auf den Anfang zurückkommen, auf das Bild vom Fußballstadion. Wenn es nach der Lautstärke geht, dann sind die wichtigsten Leute die Schlachtenbummler. Aber die Schlachtenbummler haben noch nie ein Spiel gewonnen. Da sind unten auf dem Rasen 22 Leute, die alles einsetzen, die sich mit ganzer Kraft mühen. Und diese 22 Spieler entscheiden, wie das Spiel ausgeht.

Jesus hat nicht einen Fanclub gegründet, sondern Jesus hat Jünger berufen. Und er rechnet damit, dass wir nicht eine laute Klappe haben, sondern dass wir alles einsetzen.

Aber noch einmal: Wer das tut, der wird schon merken, dass das Kreuz bedeutet.

 

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Wenn ER heute wiederkäme

Mt 25,1-13

 

Über diesen Impuls möchte ich als Überschrift schreiben: „Wenn ER heute wiederkäme …“. Wir lesen dazu das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen:

 

„Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“

(Mt 25,1-13)

 

Dieses Gleichnis von den törichten und klugen Jungfrauen endet sehr ernst. Und ich möchte am Anfang einmal die Frage aufwerfen: Ist dieses Gleichnis Frohbotschaft oder ist es eher Drohbotschaft, wenn es so ernst ausklingt, dass die Hälfte der Jungfrauen am Ende draußen stehen? Ist das wirklich Frohbotschaft?

 

Ja ich glaube, es ist wirklich Frohbotschaft. Wir müssen uns einmal folgendes vor Augen halten: Es ist die Berufung unseres Lebens, dem Herrn entgegenzugehen, der wie ein Bräutigam wiederkommt. Wir sind eingeladen, wie dieser Brautjungfern zu sein, die dem Herrn entgegengehen. Und da wählt man ja nicht irgend welche aus, sondern es ist eine ganz besondere Ehre, zu diesen Brautjungfern zu gehören. Es ist unsere Berufung als Christen, dem Bräutigam, dem wiederkommenden Herrn entgegenzugehen.

 

Wenn in einer großen Familie eine Hochzeit stattfindet, und es gibt viele kleinere Kinder in der Verwandtschaft, dann reißen sich die Kinder darum, wer bei der Hochzeit die Brautkerze tragen darf, oder wer bei der Hochzeit Blumen streuen darf. Das ist eine ganz besondere Ehre.

Und zu solcher Ehre sind wir Christen berufen, wie Brautjungfern dem Herrn entgegenzugehen. Es ist die Berufung unseres Lebens, dass wir mit dem Bräutigam, mit dem wiederkehrenden Christus einziehen in den Hochzeitssaal teilnehmen, dass wir teilnehmen dürfen an diesem Hochzeitsfest. i

Immer wieder sagt uns die Bibel, dass wir eingeladen sind zu einem himmlischen Hochzeitsmahl. Und wenn wir mit Christus, mit dem Bräutigam in diesem Hochzeitssaal einziehen dürfen, dann sind wir ja nicht irgendwer. An einer anderen Stelle sprengt Jesus dieses Bild und sagt: Wenn ihr dem Herrn entgegengegangen seid, wenn ihr ihn empfangen habt wie Brautjungfern, dann wird Christus euch im Himmel Platz nehmen lassen, und er, der Bräutigam, wird sich die Schürze umbinden und wird umhergehen und euch bedienen. Das ist unsere Berufung. Im Himmel sind für uns Throne aufgestellt, auf denen wir sitzen dürfen. Der Apostel Paulus schreibt in seinem zweiten Brief an Timotheus am Ende seines Lebens: „Ich habe den guten Wettkampf gekämpft und den Lauf vollendet. Jetzt liegt für mich die Krone des Lebens bereit.“ Aber nicht nur für mich, den großen Apostel Paulus, sondern für all, die dem Herrn in Liebe und Treue entgegengehen.

Das ist die Berufung unseres Lebens, wie solche Brautjungfern dem Herrn entgegenzugehen und seine Wiederkunft zu erwarten.

 

Aber wenn wir diese Berufung ganz ernst nehmen, dann hat das Gleichnis auch eine ernste Botschaft. Es stimmt ja: Fünf von diesen Jungfrauen stehen am Ende draußen, und die Türe ist zu. Und als sie anklopfen, sagt der Herr ihnen: „Ich kenne euch überhaupt nicht.“ Und diejenigen, die dann draußen stehen, das ist ja nicht der Abschaum der Gesellschaft, sondern das waren fünf von diesen Jungfrauen, die die Berufung hatten, den Herren in den Hochzeitssaal zu geleiten. Und die stehen auf einmal draußen.

 

Was war da passiert? Es lag nicht daran, dass sie müde geworden sind. Müde geworden sind alle zehn. Es liegt auch nicht daran, dass sie eingeschlafen sind. Auch hier gilt: Alle Zehn sind eingeschlafen. Es hängt auch nicht damit zusammen, dass diese fünf, als um Mitternacht der Bräutigam kommt, gesagt haben: Wir liegen so schön in einem warmen Bett, wir möchten gern liegen bleiben. Nein, es sind alle aufgestanden. Auch die törichten, die hinterher draußen stehen, sind aufgestanden. Sie haben sich sogar die Mühe gemacht und sind nachts noch zum Händler gegangen und haben sich Öl gekauft. Und trotzdem stehen sie draußen. Warum??

Es hängt an einem ganz kleinen aber entscheidenden Detail: Sie waren jetzt, in dem Augenblick, wo der Bräutigam kam, nicht vorbereitet. Sie waren am Abend vorher vorbereitet, sie waren eine halbe Stunde später vorbereitet, weil sie inzwischen Öl gekauft hatten. Aber in dem Augenblick, wo Christus, der Bräutigam wiederkommt, in dem Augenblick waren sie nicht vorbereitet.

 

Was uns dieses Gleichnis mit großen Nachdruck lehren will: Lebe so, dass Christus heute wiederkommen kann. Und die Frage an uns heute ist: Wenn Christus heute wiederkäme, jetzt in diesem Augenblick, würde er Dich dann vorbereitet antreffen, oder müsstest Du dann noch jede Menge Vorbereitungen treffen.

 

An dem Punkt hab ich heute große Sorge. Immer mehr Menschen, auch die Christen leben gedankenlos in den Tag hinein. Dann sagen sie mir manchmal bei Hausbesuchen: „Wissen sie, Herr Pfarrer, ich bin früher auch mal Messdiener, Ministrant gewesen. Ich hab oft dem Küster früher in der Sakristei geholfen.“ Als wenn es darauf ankäme. Die entscheidende Frage ist: Bin ich jetzt vorbereitet, wenn Christus jetzt wiederkommt?

 

Ich habe den Eindruck: Ganz viele Christen leben heute nicht mit Gott im Reinen. Sie leben dahin in Sünde, und man gewöhnt sich so sehr an Sünde, dass man keine Vergebung mehr in Anspruch nimmt. Wenn die Gebote Gottes gelten, und die gelten wirklich, dann sind ganz viele Christen heute nicht vorbereitet. Wenn Christus wiederkommt, dann kannst du nicht hingehen und sagen: „Ich muss erst noch zur Beichte gehen.“ Bevor du dann einen Beichtvater gefunden hast, ist die Türe zu, und du stehst draußen.

 

Oder in einem ganz anderen Bereich: Wie viele sind heute mit ihren Mitmenschen nicht im Reinen! Wie viel Streit, dauernden, festgehaltenen Streit gibt es in Familien auch bei Christen. Wie viel Bitterkeit gibt es unter Nachbarn, wo Nachbarn nicht mehr miteinander reden. Das geht manchmal eine ganz lange Zeit so.

Aber die Frage dieses Evangeliums ist: Wenn Christus heute wiederkommt, dann kannst du nicht erst hingehen und kann sagen: „Ich muss mich noch mit meinem Nachbarn aussöhnen.“ Bevor Du zu Deinen Verwandten und Nachbarn gegangen bist, ist die Türe zu, und du stehst draußen.

 

Oder das Ganze noch einmal in eine andere Richtung gewendet: Wie oft ist das so auch in kirchlichen Kreisen: Wenn ein Fest gefeiert wird, dann lässt man sich bis oft an den Kragen voll laufen mit Alkohol. Da ist doch die Frage erlaubt: Wenn man randvoll ist, seiner Sinne nicht mehr mächtig ist, wenn Christus dann wiederkommt, möchtest du dann so von ihm angetroffen werden? Dann kannst du nicht sagen: Ich muss ich erst noch meinen Rausch ausschlafen. Bis du wieder nüchtern geworden bist, ist die Tür zu und du stehst draußen.

 

Oder noch einmal ein anderes Beispiel. Das gilt vielleicht auch für viele Ältere von uns. Wie ist das denn etwa mit deinem Testament? Sind die Dinge für deine Nachkommen wirklich klar geregelt? Wenn Christus heute wiederkommt, dann kannst du nicht sagen: Ich muss erst noch zum Notar gehen und unsere familiären Dinge in Ordnung bringen. Bevor du einen Notar gefunden hast, ist die Türe zu, und du stehst draußen.

 

Eine meiner größten Sorgen ist, bildlich gesprochen, dass ich später einmal am Himmelstor stehe, und dass dann alle möglichen Leute am Himmelstor bei mir vorbeikommen, mich verächtlich anschauen und sagen: Ihr Priester, ihr habt gewusst, dass es ernst ist. Warum habt ihr uns nie etwas davon gesagt? Ihr habt immer vom liebenden Gott gesprochen. Natürlich, es stimmt, dass Gott die Liebe ist. Aber ihr habt unterschlagen, dass mit dieser Botschaft von der Liebe Gottes auch ein Entscheidungscharakter verbunden ist. Warum habt ihr uns nie etwas davon gesagt?

Was dieses Evangelium uns sagen will als ernste Botschaft, ist dies: Lebe so, lebe heute so, dass Christus in diesem Augenblick wiederkommen kann. Du weißt nicht den Tag, du weißt auch nicht die Stunde. Darum sei heute wachsam.

 

Ich will noch einmal anzuknüpfen an den Anfang, an der Frage unserer Berufung. Dieses Evangelium ist wirklich Frohbotschaft und ist nicht dazu da, um Menschen Angst zu machen, die wirklich Christus entgegengehen.

Du darfst damit rechnen, wenn du ihm liebenden Herzens entgegengehst, dass du seine Ankunft nicht verpasst. Du wirst den Ruf schon hören: „Der Bräutigam kommt!“ Du bist berufen, teilzunehmen am himmlischen Hochzeitsmahl. Das ist Deine Würde; das ist Deine Berufung. Aber lebe entsprechend dieser Berufung.

 

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Zu spät !

Lk 16,19-31

 

Für diesen Impuls lesen wir im Lukasevangelium die Geschichte vom reichen Mann und vom armen Lazarus.

 

„Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag herrlich und in Freuden lebte. Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war. Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Statt dessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren. Als nun der Arme starb, wurde er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben. In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von weitem Abraham, und Lazarus in seinem Schoß. Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir, und schick Lazarus zu mir; er soll wenigstens die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer. Abraham erwiderte: Mein Kind, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, du aber musst leiden. Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, so dass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte. Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen. Abraham aber sagte: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören. Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, nur wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren. Darauf sagte Abraham: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“

(Lk 16,19-31)

 

Es gibt bei uns im Deutschen eine ganz kurze Redensart, die ganz furchtbar ist: das Wort „zu spät“.

Da will jemand mit dem Zug verreisen, er kommt im letzten Augenblick auf dem Bahnsteig an. Und dann ist der Zug gerade abgefahren. Es ist zu spät. Na ja, das kann man verschmerzen. Man kann eventuell den nächsten Zug nehmen.

Aber wenn der Zug des Lebens abgefahren ist, wenn es da heißt: „Zu spät!“, das ist etwas Furchtbares.

Da kommt eine Frau zum Arzt. Der Arzt untersucht sie und sagt zu ihr: Sie haben Krebs im letzten Stadium. Wenn Sie vor einem Jahr gekommen wären, dann hätten wir Ihnen noch durch eine Therapie oder durch eine Operation helfen können. Aber jetzt ist es „zu spät“. Und genau vor einem Jahr hatte diese Frau überlegt: Ich sollte eigentlich einmal wieder zur Vorsorgeuntersuchung gehen. Jetzt rauft sie sich die Haare. Es ist zu spät. Glaub mir, diese Frau hat keine ruhige Nacht mehr.

 

Dieser Ausdruck „zu spät“ steht wie eine große Warnung über der Geschichte von dem reichen Mann und dem armen Lazarus. Jesus zeichnet diese Geschichte ganz kurzen Strichen: Da war ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und feines Leinen und lebte Tag für Tag herrlich und in Freuden. Es wird übrigens nicht gesagt, dass dieser Mann ein schlechter Mensch war. Nein ganz im Gegenteil. Er war ein ganz normaler Mensch, der in seinem Reichtum lebte. Dieser Mann hat sogar Nächstenliebe geübt, aber nur an seinen Freunden. Die hat er zu einem großen Gastmahl eingeladen. Möglicherweise, als sie sich zu Tisch gelegt haben, haben sie sogar vor dem Essen ein Tischgebet gesprochen. Eigentlich kann man zunächst gar nichts Negatives von diesem reichen Mann sagen.

 

Aber vor der Tür dieses Reichen Mannes liegt ein armer Mann namens Lazarus. Der war buchstäblich auf den Hund gekommen. Er war voller Geschwüre. Es heißt in der Geschichte: Die Hunde kamen und leckten seine Geschwüre. Es ist etwas Furchtbares, dass scheinbar Hunde barmherziger sein können als Menschen.

Der Lazarus, der draußen vor der Türe lag, der wäre ja glücklich gewesen, wenn er das bekommen hätte, was bei diesem opulenten Mal unter den Tisch fiel. Was war das denn, was unter den Tisch fiel? Man hatte damals keine Servietten. Statt dessen hat man sich mit einem Brotfladen die fettigen Finger abgewischt. Und diesen Weißbrotfladen hat man dann unter den Tisch geworfen. Der Lazarus wäre glücklich gewesen, wenn er diese Brotfladen zu essen bekommen hätte. Aber als man nach dem Mahl zusammengefegt und aufgeräumt hat, da hat keiner an den da draußen gedacht. Der war ja auch nicht drinnen, der war draußen.

 

An diesem Punkt der Geschichte macht Jesus einen großen Schnitt. Es geht in den beiden Lebensgeschichten von Lazarus und dem Reichen weiter nach dem Tod der beiden.

Lazarus starb und er wurde von Engeln in den Schoß Abrahams getragen. Das ist ein bildhafter Ausdruck dafür, dass er jetzt die ganze Geborgenheit Gottes erlebte. So wie ein Kind auf dem Schoß seines Vaters oder seiner Mutter sitzt, so erlebt Lazarus jetzt die ganze Fülle der Geborgenheit Gottes. Er ist geborgen in Abrahams Schoß.

Und auch der Reiche stirbt und wird begraben. In dem Punkt sind wir alle gleich. Sterben wird jeder von uns einmal.

Aber dann heißt es von diesem reichen Mann: Er wird begraben und erlebt in der Unterwelt qualvolle Schmerzen.

 

Wir wollen hier einmal einen Augenblick innehalten. Wenn Jesus heute in Deiner Lebensgeschichte so einen Sprung machen würde bis nach dem Tod, wie würde dann Deine Lebensgeschichte weitergehen?

Es gibt es viele Menschen, die sagen: Es ist noch nie einer von den Toten wiedergekommen, der uns gesagt hätte, wie es nach dem Tode weitergeht. Aber das stimmt so gar nicht. Die Bibel sagt uns an vielen Stellen, wie es weitergeht nach dem Tod. Und eine Tatsachen bezeugt die Bibel mit großer Präzision, gerade auch im Neuen Testament: Dass es die furchtbare Möglichkeit gibt, dass dein Leben endgültig gescheitert ist, dass es endgültig zu spät ist.

Da gebraucht Jesus solche bildhaften Ausdrücke: Du stehst dann draußen und rüttelst an der Tür: „Jesus, wir haben doch jeden Sonntag mit dir Eucharistie gefeiert. Wir haben immer etwas gegeben für die Adveniatkollekte …“ Und dann kommt von innen die Stimme: „Ich kenne euch gar nicht.“

Die Bibel rechnet mit dieser furchtbaren Möglichkeit, dass wir einmal endgültig draußen sind. Und darum ist diese Botschaft in diesem Evangeliumsabschnitt für uns so wichtig.

 

Der Reiche ist in der Unterwelt und leidet qualvolle Schmerzen. Und er sieht ganz weit entfernt den Lazarus im Schoß Abrahams, wie er geborgen ist. Und dann ruft er nach drüben: „Vater Abraham, schickt den Lazarus zu mir. Ich möchte wenigstens ein ganz kleines Stückchen von dieser Freude der Geborgenheit auch erleben. Er soll wenigstens den Finger ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen hier im Leid, in diesem Feuer.

Da antwortet Abraham ihm: „Ich kann den Lazarus nicht schicken, selbst wenn ich wollte. Zwischen euch und uns ist eine unüberwindbare Kluft. Es geht nicht. Es ist zu spät. Denk daran: In deinem irdischen Leben ist es dir gut gegangen, und Lazarus war draußen. Jetzt ist die Lage umgekehrt. Aber jetzt ist es zu spät!“

 

Und dann sagt der Reiche zu Abraham: „Abraham, wenn es für mich schon zu spät ist, dann schick doch den Lazarus in mein Vaterhaus. Ich habe noch fünf Brüder. Die leben genau so in den Tag hinein wie ich. Sie lassen Gott einen guten alten Mann sein und kümmern sich nicht um seine Gebote. Schick den Lazarus zu meinen Brüdern, damit ihnen dieses Schicksal erspart wird, damit sie nicht auch an den Ort dieser Qual kommen.“

Doch Abraham sagt ihm: „Warum soll ich den Lazarus zu ihnen schicken? Sie haben doch Mose und die Propheten; sie habe doch das Wort der Heiligen Schrift. Da steht doch schwarz auf weiß, was der Weg zum Leben ist, was das Ziel Gottes mit den Menschen ist. Die sollen sie lesen.

 

Ich denke oft: Wenn unsere verstorbenen Angehörigen heute zu uns sprechen könnten, vielleicht würden sie uns auch zurufen: „Hört auf Mose und die Propheten; hört auf das Wort der Heiligen Schrift. Da ist der ganze Weg zum Leben aufgezeichnet.“

 

Aber der reicher Mann sagt zu Abraham: Nein, das nützt nichts. Ich kenne doch meine Brüder, die lesen doch nicht in der Bibel. Die halten die Bibel für ein verstaubtes Buch von früher, das keiner mehr ernst nimmt. Aber wenn einer von den Toten wiederkäme, dann würden sie sich bekehren.“

Aber dann hat Abraham für ihn noch eine letzte Antwort, und die klingt ganz furchtbar: „Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, wenn sie die Botschaft der Bibel nicht ernst nehmen, dann werden sie sich auch nicht überzeugen lassen und sich bekehren, wenn einer von den Toten aufersteht.“

 

Damit endet diese Geschichte. Sie ist eine Mahnung an uns. Und ich höre in meinem Herzen immer wieder diese Aufforderung: „Hört auf Mose und die Propheten!“

Und es ist etwas Furchtbares. wenn man miterlebt, dass das Wort Gottes, das uns den Weg zum Leben zeigen will, heute so sträflich links liegen gelassen wird. Ich werde nicht müde, immer wieder zu betonen, wie wichtig es ist, im Wort Gottes zu lesen und das Wort Gottes zu leben. Das Bibellesen es nicht ein Hobby für Spezialisten.

Es ist auch nicht dafür gedacht, dass wir alle möglichen Spekulationen über die Entstehung des Alten und Neuen Testamentes anstellen. Dieses Wort ist für uns lebensnotwendig, es ist im buchstäblichen Sinne „Lebens-mittel“.

Der Prophet Jeremia sagt einmal: „Fanden sich Worte von dir, dann waren sie meine Speise, dann hab sie verschlungen.“ Das Wort Gottes ist im buchstäblichen Sinne Lebens-mittel, Mittel, durch das wir Leben haben sollen. Der Weg zum Leben ist uns hier aufgezeigt. Wenn wir dieses Wort vernachlässigen und so in den Tag hinein leben nach dem Motto: Was brauche ich schon das Wort Gottes. Dann besteht die furchtbare Möglichkeit, das es einmal heißt: Zu spät!

 

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Eine falsch gestellte Frage

Mk 10,17-27

 

 

Über diesen Impulssendung möchte ich als Überschrift setzen: „Eine falsch gestellte Frage.“ Es geht um die Geschichte vom reichen Jüngling, der traurig wegging, weil er viele Güter hatte:

 

„Als sich Jesus wieder auf den Weg machte, lief ein Mann auf ihn zu, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus antwortete: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott, dem Einen. Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, du sollst keinen Raub begehen; ehre deinen Vater und deine Mutter! Er erwiderte ihm: Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. Da sah ihn Jesus an, und weil er ihn liebte, sagte er: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach! Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen. Da sah Jesus seine Jünger an und sagte zu ihnen: Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! Die Jünger waren über seine Worte bestürzt. Jesus aber sagte noch einmal zu ihnen: Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen! Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Sie aber erschraken noch mehr und sagten zueinander: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich.“ (Mk 10,17-27)

 

Da kommt ein junger Mann zu Jesus und stellt ihm eine Frage: „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Die entscheidende Frage des Lebens, auf die letztlich alles ankommt. Und doch ist diese Frage falsch gestellt.

In dieser Geschichte geht es folgendes: Man kann auf eine falsch gestellte Frage keine richtige Antwort geben. Ich will es einmal sehr pointiert sagen. Da fragte ihn ein junger Mann: „Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Ihm geht es um die Frage: Was muss ich tun? Aber wenn ich diese Frage so stelle, dann kommt ein ganz falscher Zungenschlag in dieser Frage hinein. Letztlich wird dadurch unsere Lebensrichtung in eine falsche Richtung programmiert. So gestellt, entspringt die Frage letztlich dem jüdischen Gesetzesdenken. „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?“

 

Dass diese falsch gestellte Frage auch heute noch aktuell ist, habe ich in der Seelsorge immer wieder erlebt.

Da komme ich zu einem alten Mann, der im Bett liegt, und bringe Ihm die Krankenkommunion, oder ich spende ihm das Sakrament der Krankensalbung. Dann sagt mir dieser alte Mann unter Tränen: „Herr Pfarrer, ob ich wohl alles richtig gemacht habe, dass ich gut oben ankomme? Ob ich wohl genug getan habe, dass ich oben ankomme?“ Und es drückte sich in dieser Frage die ganze Angst des Mannes aus. „Ob ich wohl genug getan habe, damit ich gut oben ankomme?

Das ist letztlich die gleiche Frage, die dieser junge Mann gestellt hat: Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen, um gut oben anzukommen?

 

Ich habe oft darüber nachgedacht: Wie soll denn ein Mensch froh werden im Glauben, wie soll ein Mensch auch mit freudiger Zuversicht dem Sterben ins Auge sehen, wenn er immer mit dieser bangen Frage lebt: „Ob ich wohl genug getan habe, damit ich oben ankomme?“ Da merkt man die Brisanz, die in dieser Geschichte liegt.

 

Jesus antwortet dem jungen Mann ganz schlicht: Du kennst doch die Gebote. Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht Falschaussagen machen, kein Raub begehen, ehre deinen Vater und deine Mutter …

Und dann sagt doch dieser junge Mann Jesus ins Gesicht: „Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt.“ Ich könnte das von mir nicht sagen, dass ich die Gebote von Jugend an alle befolgt habe. Aber dieser junge Mann sagt das so. Und Jesus widerspricht ihm auch nicht. Es steht vielmehr noch dabei: Jesus gewann ihn lieb.

 

Aber dann spitzt Jesus die Sache zu und sagt ihm: „Eines fehlt dir noch: Verkaufe alles, was Du hast, und gibt das Geld den Armen.“ An dieser Stelle zuckt der junge Mann zusammen. Das kannst du von mir nicht erwarten. Alles, was ich von meinen Eltern geerbt habe, alles, was ich mit meiner Hände Arbeit erworben habe, das soll ich abgeben, verkaufen, und das Geld den Armen geben? Dazu war er nicht bereit. Und er ging traurig weg, weil er viele Güter hatte.

Das Furchtbare ist: Jesus lässt ihn gehen. Jesus sagte auch nicht: „So ernst hab das nicht gemeint.“ Jesus lässt ihn gehen. Und man kann das Entsetzen der anderen Jünger verstehen, die Jesus anschauen und sagen: „Meister, wenn du den Brotkorb so hoch hängst, wer kann dann noch gerettet werden?

 

Warum legt Jesus die Latte auf ein Maß, das der junge Mann gar nicht bringen kann?

 

Wir müssen auf den Anfangspunkt zurückkommen. „Eine falsch gestellt Frage“, das war unsere Überschrift. Jesus muss diesem jungen Mann klarmachen, und vielleicht muss er das auch uns klarmachen: Du hast die Frage falsch gestellt. Solange du fragst: Was muss ich tun?, wird es immer irgendwann einen Punkt geben, wo du sagst: „Nein, das kann ich nicht; dazu bin ich nicht bereit.“

 

Wir wollen einmal ein wenig Fantasie entwickeln, und diese Fantasie an unser Evangelium anlegen. Stell dir einmal vor: Jesus sagt: „Halte die Gebote.“ Der junge Mann antwortet: „Die hab ich alle gehalten.“ Da sagt Jesus weiter: „Eines fehlt dir noch. Verkaufe alles, was du hast, und gib den Erlös den Armen. Dann folge mir nach.“

Jetzt stellen wir uns einmal vor, die Geschichte wäre anders weitergegangen. Der junge Mann hätte gesagt: „Geld ist sowieso nicht alles.“ Er hätte sein Portmonee gezückt und zu Jesus gesagt: „Du kannst alles haben.“

Meinen Sie, Jesus hätte ihm dann geantwortet: „Jetzt hast du Freifahrtsschein fürs ewige Leben“?

Nein, wahrscheinlich hätte Jesus weitergebohrt. Vielleicht hätte Jesus dem Jüngling gesagt: „Ich möchte jetzt, dass du ehelos lebst, dass du den Zölibat hältst.“ Möglicherweise hätte dann der junge Mann reagiert: „Mit Frauen hab ich es sowieso nicht. Gut, dann lebe ich halt ehelos.“

Vielleicht hätte dann Jesus weitergebohrt: „Ich möchte, dass du in ein ganz strenges Kloster gehst, wo man überhaupt miteinander sprechen darf.“

Jesus hätte immer weitergebohrt bis er irgendwann an den wunden Punkt kommt, wo der junge Mann kneift und sagt: „Das nicht!“

 

Jeder von uns hat irgendwo einen solchen wunden Punkt. Wenn du das von mir erwartest: Nein, das nicht; dazu bin ich nicht bereit!“ Bei dem jungen Mann in unserem Evangelium war es das Geld. Vielleicht ist es bei vielen von uns das Geld, der Besitz. Aber irgendwo hat jeder so einen wunden Punkt. Und wenn Jesus daran rührt, dann zuckt man zusammen und sagt: „Nicht das!“

 

Und genau an diesen Punkt muss Jesus den jungen Mann führen. Wenn dann die Jünger entsetzt reagieren: „Meister, wer kann da noch gerettet werden?“, dann höre jetzt einmal die Antwort Jesu an die Jünger. Wenn man genau in dieses Evangelium hineinhört, dann merkt man, dass das die Antwort ist auf die Anfangsfrage des jungen Mannes: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Die Antwort Jesu ist: „Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott. Denn für Gott ist alles möglich.“

 

Solange du noch fragst: Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen, ist irgendwann der Punkt erreicht: Das kann ich nicht. Aber es geht auch gar nicht um die Frage, was du tun musst. Die entscheidende Frage im christlichen Leben ist: Was hat Jesus getan, damit ich das ewige Leben gewinne.

 

Ich will noch einmal auf den alten Mann im Krankenbett zurückkommen, der mich unter Tränen gefragt hat: „Ob ich wohl genug getan habe, damit ich gut oben ankomme?“ Ich habe diesem alten Mann gesagt: Die Frage darf nicht heißen, ob Sie alles gut gemacht haben. Die Frage muss heißen: Hat Jesus wohl genug getan, damit Sie gut oben ankommen.

Da ging ein Strahlen über sein Gesicht, und er sagte: „Das will ich doch wohl meinen, dass Jesus genug getan hat, dass er alles richtig gemacht.“

 

Wenn man die Frage so herum stellt: Was hat Jesus getan, damit ich gut oben ankomme, dann fällt so viel an religiöser Krampf von uns ab. Dann geht es nicht mehr darum, dass ich alle möglichen Gesetze, Gebote und Vorschriften halte, damit ich in den Himmel komme.

Dann geht es darum, sich in Freude diesem Jesus zuzuwenden, der alles getan hat, der als letztes Wort am Kreuz gesagt hat: „Es ist vollbracht.“ Er hat alles für mich vollbracht, und ich darf mich einfach unter das Kreuz stellen, darf zum Gekreuzigten aufschauen und sagen: „Jesus, ich brauche dich, ich brauche das, was du für mich getan hast. Und ich danke dir und ich freue mich darüber, dass du alles gut gemacht hast, dass du genug getan hast, damit ich gut oben ankomme.

 

Letztlich gesehen ist es das gleiche, was die Gottesmutter Maria in ihrem Magnifikat singt. „Selig preisen mich alle Geschlechter“, singt sie da. Aber es geht nicht weiter: Ich habe Großes getan für den Allmächtigen. Nein umgekehrt: „Der Mächtige hat Großes an mir getan.“ Das ist das Entscheidende, dass der Mächtige Großes an mir getan hat. Dann kommt auf einmal ein befreiender Zug in unser christliches Leben.

 

Aber wenn wir das so sehen: Muss man denn dann keine Gebote halten? Sind die Gebote dann alle überflüssig geworden, wenn doch Jesus schon genug getan hat?

Nein, sie sind nicht überflüssig. Aber die Gebote Gottes halte ich dann nicht aus der Angst heraus: Ob ich wohl genug getan habe, damit in den Himmel komme? Ich halte die Gebote aus der Freude heraus, dass Jesus Christus mir den Himmel erworben hat. Und aus dieser Freude heraus habe ich dann auch alle Hände frei, den Willen Gottes in dieser Welt zu tun und seine Gebote zu halten. Ich tue es nicht mehr aus einem Muss heraus, aus der Angst heraus: Ob ich wohl genug getan habe?, sondern aus der Freude heraus, dass Jesus mich erlöst hat.

 

Ich will es zum Schluss noch einmal auf den Punkt bringen. Ich weiß, es ist ein bisschen gewagt. Sie kennen vermutlich das alte Kindergebet, das wir irgendwann einmal gelernt haben:

„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.“

Wie viele Generationen haben dieses Gebet gebetet. Aber im tiefsten ist dieses Gebet falsch. Ich bin nicht fromm, damit ich in den Himmel komme. Das Gebet müsste eigentlich umgekehrt heißen:

„Lieber Gott ich bin fromm, weil ich in den Himmel komm.“

Aus der Freude heraus, dass Jesus mir den Himmel erworben hat, aus dieser Freude heraus will ich fromm sein, will ich den Willen Gottes erkennen und tun. „Lieber Gott, ich bin fromm, weil ich in den Himmel komm.“

 

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