Pfarrer Karl Sendker

Predigten - Hilfen zur Bibelarbeit

Gottesdienste - geistliches Leben

 

Impulse 9
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Jesusbegegnungen

6 Impulse

 

Die erste Begegnung   (Joh 1,35-42)

Bartimäus   (Mk 10,46-52)

Begegnung auf dem See   (Mt 14,22-33)

Träger zu Jesus   (Mk 2,1-12)

Pharisäer und Sünderin   (Lk 7,26-50)

Marta und Maria   (Lk 10,38-42)

  

Die erste Begegnung

(Joh 1,35-42)

 

 

Als Thema über diese Impulsreihe möchte ich das Stichwort setzen „Jesusbegegnungen“. Bei all unserem Reden und Nachdenken über Gott und über den Glauben geht es ja nicht in erster Linie darum, unser Wissen zu vermehren. All unser Denken, Reden und Fragen soll uns vielmehr hinführen zur Begegnung mit IHM, mit Jesus. Das ist das Zentrum.

Heute als Überschrift: „Die erste Begegnung“

Ich lesen einen Abschnitt aus dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums die Verse 35 bis 42. Hier geht es um die erste Begegnung, um den Anfang. Und den schauen wir uns einmal genauer an.

 

Am Tag darauf stand Johannes wieder dort, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: Was wollt ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo wohnst du? Er antwortete: Kommt und seht! Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.

Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus).

Joh 1,35-42

 

Wir wollen jetzt gleichsam einen Spaziergang machen am Text dieses Abschnittes entlang. Wir wollen uns mit an den Jordan stellen und einfach zuschauen und zuhören, was da geschieht. Vielleicht lassen wir uns ja selbst in dieses Geschehen mit hineinziehen.

 

Das erste, was hier gesagt wird: Johannes der Täufer steht da und zwei von seinen Jüngern. Hier will ich kurz innehalten. Bevor jemand Jesusjünger wird, ist er zuerst einmal „Johannesjünger“, Jünger eines Menschen. Das ist heute auch so. Es gibt Leute, die hören jede Impulssendung von Pfarrer Sendker oder jeden Vortrag von Pater Buob. Sie lesen jedes Buch von einem bestimmten Autor.

Den ersten Impuls zum Glauben bekommen wir oft durch Menschen. Wir sind zunächst einmal, bevor wir Jesusjünger sind, Menschenjünger. Das war damals auch so. Das ist oft der normale Weg, dass man erst einmal „Johannesjünger“ ist. Johannes stand da und zwei von seinen Jüngern.

 

Jetzt werfen wir einen kurzen Blick auf Johannes. Und hier geht es zunächst einmal um die Prediger, die Verkündiger der Botschaft. Hier in diesem Vers finden wir gleichsam eine ganz komprimierte Anweisung für Prediger.

Ein Erstes: Da heißt es in Vers 36: „Indem Johannes auf Jesus blickte, der vorüberging ...“ Wir müssen als Verkündiger unseren Blick auf Jesus gerichtet haben. Wir dürfen nicht auf die Menschen schauen und ihnen nach dem Mund reden. Wir dürfen auch nicht gleichsam vor dem Spiel stehen und uns selber gefallen, in dem, was wir verkünden. Verkündiger sein heißt: seinen Blick ganz klar auf Jesus gerichtet haben.

Ein Zweites in dieser kleinen Predigtlehre: Die Botschaft, die Johannes verkündet, ist ganz eindeutig und knapp: „Siehe, das Lamm Gottes.“ Vorher hatte er schon ergänzt: „… das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.“ Hier sind wir am Zentrum. Es gibt viele interessante Themen, über die man predigen könnte. Aber wenn diese Mitte fehlt: „Jesus ist das Lamm Gottes, das die Sünde wegnimmt“, dann fehlt das Wesentliche, dann hängt vieles von unserer Verkündigung einfach in der Luft. Hier sind wir am Zentrum: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.“

Das Dritte in dieser Predigtlehre: Das Ergebnis der Verkündigung heißt: „Sie hörten ihn (Johannes) reden und folgten Jesus.“ Unsere Verkündigung ist dann richtig, wenn als Ergebnis dabei herauskommt: Die Leute hören uns reden, und sie folgen nicht uns, sondern sie folgen Jesus.

 

Jetzt gehen wir wieder in diese Geschichte hinein. Stell Dir das einmal ganz praktisch vor. Jesus geht vorüber, und diese beiden gehen hinter Jesus her. Das ist noch Nachfolge auf Distanz. Jesus zehn Schritte voraus und sie zehn Schritte hinterher. So beginnt ganz oft Nachfolge, gleichsam Nachfolge auf Distanz. Wir möchten ja wohl. Aber lass diesen Jesus nicht so nah herankommen. Wer weiß, was dann passiert? Irgendwo dieses: Ich möchte ihm nachfolgen. Aber auch eine gewisse Scheu, weil ich nicht weiß, worauf ich mich dann einlasse, wenn ich ihm nachfolge. Nachfolge auf Distanz.

 

Und dann: Jesus geht nicht weiter. Er dreht sich um. Er ergreift die Initiative. Jesus ergreift immer die Initiative, wenn er merkt, dass irgendwo Menschen ihm nachfolgen wollen. Und er fragt sie: „Was sucht ihr?“ Ganz schlicht ist diese Frage. Was sucht ihr?

Ich lade Sie ein, sich einmal diese Frage zu stellen und zwar von Jesus her: Was suchst du? Was suchst Du, wenn du jetzt diesen Impuls liest? Was suchst Du, wenn Du regelmäßiger Hörer von Radio Maria oder von Radio Horeb bist? Was suchst Du, wenn Du in der Bibel liest, wenn Du zum Gottesdienst gehst?

Es gibt auch Menschen, die suchen in einen Gottesdienst eine schöne Mozartmesse. Lass Dich einmal von Jesus fragen: Was suchst du?

 

„Was sucht ihr?“ So fragt Jesus diese beiden, die ihm gleichsam auf Distanz nachfolgen. Die Antwort der beiden ist so wichtig, weil sie so schlicht und so ehrlich ist. Sie haben als gläubige Juden nicht den Psalm 63 zitiert: „Gott, du mein Gott, dich suche ich. Meine Seele dürstet nach dir.“ So ist das ja auch gar nicht, wenn man Anfänger ist auf dem Weg der Nachfolge. Ihre Antwort heißt: „Rabbi, wo wohnst du?“ In dieser Antwort liegt wieder dieses Zögernde, Tastende. Sie sagen nicht: „Wir suchen dich.“ Auf der anderen Seite, spürt man in dieser Antwort aber auch: Die beiden möchten, dass mehr daraus wird, als nur eine flüchtige Begegnung so im Vorbeigehen auf der Straße.

 

Und Jesus antwortet ihnen: „Kommt und seht.“

Auch hier lohnt es sich, kurz innezuhalten. „Kommt und seht.“ Das ist etwas ganz Merkwürdiges. Jesus gibt keine objektiv richtige Antwort. Eine objektiv richtige Antwort auf die Frage „Wo wohnst du“ hätte etwa geheißen: Breite Straße 23. Oder damals hat man das anders ausgedrückt: Ich wohne am Meer bei Simon dem Gerber. Aber Jesus gibt keine objektive Antwort, er gibt die Antwort als Einladung: „Kommt und seht.“ Das ist für uns ganz wichtig. Wer nicht versteht, dass Jesus eine Einladung ergehen lässt, wer immer nur nach objektiven Glaubenswahrheiten sucht, und wer sich nicht wenigstens ganz anfanghaft auf diese Einladung einlässt, der wird im Tiefsten nie zur Nachfolge kommen. Der wird auch im Tiefsten gar nicht verstehen können, wenn ein Mensch in Jesus seine letzte Erfüllung findet. Die objektiven Richtigkeiten in unserem Fragen und Nachdenken über den Glauben, die haben auch ihren Platz, die kommen irgendwann auch. Aber am Anfang steht die Einladung Jesu: „Kommt und seht.“

 

Diese beiden gehen mit ihm, und sie sahen wo er wohnte. Und sie blieben jenen Tag bei ihm. Es war ungefähr die zehnte Stunde

Wie viele Jahrzehnte später ist diese Geschichte von Johannes aufgeschrieben worden. Aber er kann sich noch genau erinnern: Es war die zehnte Stunde. Es gibt solche Begegnungen mit Jesus, und oft sind es die ersten Begegnungen, die sind so tief, dass man sich noch genau an den Tag und die Stunde erinnern kann. Ich habe viele Menschen getroffen, und auch in meinem eigenen Leben ist es so, dass ich mich noch genau an diese erste Stunde erinnern kann, wo Jesus mir zum ersten Mal begegnete als der lebendige Gott.

 

Jetzt muss ich zwischendurch etwas erklären. Die zehnte Stunde ist nicht zehn Uhr morgens. Der Tag war bei den Juden eingeteilt in zwölf Stunden. Der Tag begann morgens um 6:00 Uhr und er endete abends nach unserer Zeitrechnung um 18:00 Uhr. Die dritte Stunde ist dann nach unserer Rechnung 9:00 Uhr vormittags. Die sechste Stunde ist dann mittags um 12:00 Uhr. Die zehnte Stunde ist nachmittags um 16:00 Uhr. Wenn es heißt: „Es war die zehnte Stunde, und sie blieben jenen Tag bei ihm.“ Der Tag endet um 18:00 Uhr. Das bedeutet also: Sie sind von 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr bei ihm gewesen, zwei Stunden lang.

 

Und hier die Frage einmal an uns: Haben wir das schon erlebt, dass wir zwei Stunden lang einfach mit Jesus zusammen gewesen sind? Wenn wir Stille halten im Gebet, wenn wir stille Anbetung halten, dann wird uns ja oft die Zeit so lang, dass wir nach wenigen Minuten oft schon nervös werden und zu irgendwelchen Gebetbüchern oder anderen Hilfsmitteln greifen. Aber bist Du schon einmal zwei Stunden lang wirklich mit Jesus allein gewesen? Ohne Bücher, vielleicht sogar ohne Bibel, ohne Rosenkranz. Einfach nur mit Jesus gewesen?

Wenn jemand das tut, dann wird er merken, dass in ihm plötzlich eine ganz große Leere aufsteigt, dass er ganz leer wird. Aber wenn er dann nicht flüchtet, wenn er diese Leere aushält, dann wird er auch merken, dass irgendwann das eintritt, was Paulus im Römerbrief geschrieben hat: „Der Geist kommt unserer Schwachheit zur Hilfe. Wir wissen nicht, worum wenn rechter Weise beten sollen.“ Auf einmal merkt man, dass ER es ist, der in uns betet.

 

Sie blieben jenen Tag bei ihm. Zwei Stunden mit Jesus.

Ich wüsste gerne, was die beiden in diesen zwei Stunden mit Jesus erlebt haben. Worüber sie mit Jesus gesprochen haben. Was Jesus ihnen erzählt hat. Ich wüsste das gerne. Aber darüber schweigt das Evangelium. Es gibt solche Augenblicke der Begegnung mit Jesus, die sind so persönlich, gleichsam intim, da darf man keinen anderen mehr hineinschauen lassen. Die muss man einfach als Geschenk annehmen, ohne dass man hinterher alles zerredet. Damit könnte man sonst alles verderben. Wir wissen nicht, was in diesen zwei Stunden im Einzelnen geschehen ist.

Aber eins erfahren wir wieder: Als Andreas, einer von den beiden, dann seinen Bruder Simon Petrus trifft, da sagte er ihm als Ergebnis dieser zweistündigen Begegnung: „Wir haben den Messias gefunden.“ Das sagen wir so schnell hin, da lesen wir so drüber weg. Aber man muss sich einmal vorstellen: Der Messias ist derjenige, nach dem die Juden sich Jahrhunderte gesehnt haben, den sie von Gott erbetet haben. Und der Messias ist es, den Gott über die Jahrhunderte durch die Propheten immer wieder hat ankündigen lassen: „Es wird einmal der Tag kommen, wo der Messias erscheint.“ Und dann kommen diese beiden nach der zweistündigen Begegnung mit Jesus und sagen in aller Schlichtheit: Wir haben den Messias gefunden. Wir haben den gefunden, nach dem sich alle so sehr sehnen, den Gott über Jahrhunderte versprochen hat. Was muss das für eine tief gehende Begegnung gewesen sein zwischen Jesus und diesen beiden Jüngern, wenn das das Ergebnis war: „Wir haben den Messias gefunden.“

 

Und er führte Simon Petrus zu Jesus.

Wie macht man das eigentlich, einen Menschen zu Jesus führen? Ganz schlicht: Erzähl einem anderen doch das, was Du gefunden hast. Wenn Gott Dir einen Zugang geschenkt hat zur Heiligen Schrift, wenn du da fündig geworden ist, dann erzählt das anderen Menschen. Wenn Gott Dir einen ganz tiefen Zugang zur eucharistischen Anbetung geschenkt hat, dann gib das weiter. Wenn Gott Dir einen Zugang zum Rosenkranzgebet geschenkt hat, dann nimm andere mit in Dein Beten hinein. Es gibt viele Formen, wie Gott den Menschen begegnet. Was Du gefunden hast, das gib den Menschen weiter. Nicht die offenen Fragen, nicht Glaubenszweifel, die ja auch oft da sind. Gib das weiter, wo Du fündig geworden bist. Begegnung wird Zeugnis. Dadurch führt man einen anderen Menschen zu Jesus.

 

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Bartimäus

(Mk 10,46-52)

 

 

Eine der bekanntesten Jesusgeschichten, die schon die Kinder im Kindergarten und in der Grundschule kennenlernen, ist die Geschichte von der Heilung des blinden Bartimäus. Diese Geschichte hat auch für mein eigenes Glaubensleben eine große Bedeutung gehabt. Wir finden diese Geschichte im Markusevangelium in Kapitel 10, die Verse 46 bis 52.

 

Sie kamen nach Jericho. Als er mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jericho wieder verließ, saß an der Straße ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! Viele wurden ärgerlich und befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her! Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu. Und Jesus fragte ihn: Was soll ich dir tun? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte wieder sehen können. Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen, und er folgte Jesus auf seinem Weg.

Mk 10,46-52

 

So bekannt diese Geschichte vom blinden Bartimäus auch ist, steckt sie doch voller Merkwürdigkeiten. Es liegt sogar auch eine ganze Portion Brisanz darin. Ich möchte einige Akzente in diese Geschichte setzen.

 

Ein erster Punkt:

Da gibt es um Jesus herum eine große Menschenmenge mit vielen Menschen, die alle sehen können, und es ist da ein einziger Blinder, der nicht sehen kann. Aber wenn man einmal ein wenig hinter die vordergründige Geschichte schaut, dann entdeckt man, dass es genau umgekehrt ist. Der Blinde ist derjenige, der in Wirklichkeit sieht. Die vielen anderen sind diejenigen, die eigentlich im tiefsten blind sind.

Ich will versuchen zu erklären, wie ich das meine: Der blinde Bartimäus „sieht“ auf einmal, dass dieser Jesus von Nazareth der Messias ist. Er schreit mit lauter Stimme: „Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!“ Der Titel „Sohn Davids“ ist im Alten Testament ein Messiastitel. Man erwartete den Messias als Sohn Davids. Der blinde Bartimäus erkennt, dass sich in diesem Jesus von Nazaret das gesamte Alte Testament erfüllt, dass er der Messias ist. Noch in einer anderen Weise ist der blinde Bartimäus sehend. Er ruft: „Hab Erbarmen mit mir!“ In diesem Wort Erbarmen steckt vom Alten Testament her die ganze Bundeshuld Gottes, die gesamte Zusage des göttlichen Heils. Und das erwartet der blinde Bartimäus. Alles was im Alten Testament verheißen ist an Heilzuwendung Gottes zu den Menschen, das erwartet er von diesem Jesus. Und damit ist er der eigentlich Sehende.

Um was es mit den anderen, die das Augenlicht haben?

Es ist eigenartig: Diese Geschichte vom blinden Bartimäus steht im Markusevangelium unmittelbar vor dem Einzug Jesu in Jerusalem. Da ruft die ganze Menge, als Jesus in Jerusalem einzieht: „Hosanna dem Sohne Davids!“ Äußerlich gesehen geben sie ihm den gleichen Titel wie der blinde Bartimäus. Aber im tiefsten haben sie ihn nicht erkannt. Denn die gleiche Menge schreit wenige Tage später: „Kreuzige ihn!“

Wer ist eigentlich der Blinde und wer ist der Sehende? Bartimäus, der äußerlich das Augenlicht verloren hat, ist derjenige, der im tiefsten sieht.

 

Ein zweiter Punkt: Jesus sagt den Leuten: „Ruft ihn her zu mir!“. Vielleicht ist das das wichtigste, was wir in der Seelsorge tun können: Ruft sie, die Menschen her zu mir; ruft die Menschen zu Jesus. Das ist unser tiefster Dienst, die Menschen zu Jesus zu bringen. Jesus sagt es uns heute: Ruft die Menschen zu mir, die in Not sind, die Mangel haben, die nicht sehen können, die Hilfe nötig haben. Gebt ihnen nicht irgendwelche guten Ratschläge, sondern ruft sie her zu mir.

Und dann heißt es hier: Die Leute sagen zu dem Blinden: „Mut, steh auf, er ruft dich!“ Ob das nicht etwas wäre, was wir in unseren Kirchen den vielen resignierten Menschen sagen dürfen: „Hab Mut, steh auf, er ruft dich!“ Jesus ruft. Und wir dürfen die Menschen ermutigen, dass sie diesem Ruf Jesu folgen,

 

Ein dritter Punkt in dieser Geschichte. Am Ende sagt Jesus zu Bartimäus: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Er sagt eigenartigerweise nicht: Ich habe dir geholfen. Er sagt auch nicht: Der Vater im Himmel hat dir geholfen. Nein, er sagt: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Was ist das mit diesem Glauben, der gleichsam den Arm Gottes bewegt, der Heilung schenkt? Worin äußert sich in dieser Glaube? Darauf gibt diese Geschichte eine ganz präzise Antwort.

 

Als Bartimäus seinen Mantel weggeworfen hat und vor Jesus steht, da fragt Jesus ihn: „Was willst du, was soll ich für dich tun?“ Auf den ersten Blick ist das eine unsinnige Frage. Jesus sieht doch, dass der Mann blind ist. Außerdem hatte er doch vorher schon gerufen: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Und das gegen den Widerstand der Leute, die ihn angefahren haben: „Sei still!“ Wieso fragt Jesus ihn jetzt noch: „Was willst du, was soll ich für dich tun?“

Genau hier liegt der entscheidende Punkt. An der Antwort, die Bartimäus auf diese Frage gibt, zeigt sich, was er im tiefsten glaubt. Er muss es noch einmal ganz präzise aussprechen.

Wir wollen einmal ein bisschen Phantasie entwickeln. Der Bartimäus war ja am Betteln. Stell Dir einmal vor: Als Jesus ihn fragt: „Was willst du, was soll ich für dich tun?“, wenn der Bartimäus dann geantwortet hätte: „Jesus, wenn du mir zehn Euro gibst, dann komme ich einen Tag über die Runden.“ Vielleicht hätte Jesus dem Petrus gesagt: Petrus, gib ihm aus unserer Kasse zehn Euro.“ Und hätte dem Bartimäus gesagt: „Dir geschehe, wie du geglaubt hast.“ Oder stell dir einmal vor, der blinde Bartimäus hätte geantwortet: „Herr, gib mir hundert Euro, dann kann ich mir vielleicht einen Blindenhund kaufen.“ Vielleicht hätte Jesus ihm hundert Euro gegeben und hätte gesagt: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Aber der Bartimäus setzt alles auf eine Karte. Als Jesus ihn fragt: „Was willst du, was soll ich für dich tun?“, da antwortet er: „Rabbuni, Meister, ich möchte wieder sehen können.“ Eine ganz präzise Antwort.

 

Genau in diesem Punkt ist mein eigenes Glaubensleben vor vielen Jahren gleichsam auf den Kopf gestellt worden. Mir ist deutlich geworden, dass wir unserem Beten viel zu unkonkret sind. Unsere Not ist in der Regel sehr konkret. Aber wir beten: „Erbarme dich meiner …, hilf mir …, segne mich …“

Genau so hat es Bartimäus gemacht: „Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Wenn ich in einer Notlage bete: „Jesus hilf mir“, dann fragt Jesus zurück: „Wie soll denn diese Hilfe aussehen? Was soll ich für dich tun?“ Wenn ich einen Mangel habe und bete: „Jesus erbarme dich meiner“, dann fragt Jesus zurück: Wie soll denn dieses Erbarmen aussehen?

Ich will es einmal überspitzt sagen: Wenn jemand bis zum Mittag fünfzig Euro braucht, weil er in Not ist, dann soll er nicht morgens zu beten: „Jesus segne mich.“ Dann soll er vielmehr beten: „Jesus ich brauche bis 12:00 Uhr fünfzig Euro.“ Ich weiß, da erschrickt man, wenn ich das so drastisch ausdrücke. Aber genauso hat Jesus den Bartimäus gefragt. Es hat ihm nicht gereicht, dass Bartimäus gerufen hat: „Sohn Davids, erbarme dich meiner.“ Bartimäus muss es noch einmal ausdrücklich ganz konkret sagen. „Ich möchte wieder sehen können.“

Ich habe gelernt, mit Mühe gelernt, bei Gott im Beten konkret zu sein. Ich gestehe, dass es mir auch heute noch oft schwer fällt. Aber kein Mensch von uns würde doch in einen Buchladen gehen und zu Verkäuferin sagen: „Ich möchte gerne ein Buch kaufen.“ Die Verkäuferin würde sofort fragen: „Welches Buch denn?“ Nein, wenn ich in einen Buchladen gehe, dann sage ich: „Ich möchte gerne den und den Titel, von dem und dem Verfasser, wenn möglich eine Paperbackausgabe. Wir sind überall konkret. Warum sind wir nicht konkret bei Gott in Gebet? An dem was wir konkret beten, zeigt sich, was wir diesem Gott, diesem Jesus, diesem Heiland wirklich zutrauen. An dem, was Bartimäus antwortet, zeigt sich, was er wirklich glaubt. „Herr, ich möchte wieder sehen können.“ Und da Jesus sagt zu ihm: „Dein Glaube hat dir geholfen.“

 

Noch eine Kleinigkeit ist mir in diesem Zusammenhang wichtig. Jesus fragt den Bartimäus: „Was willst du, was soll ich für dich tun?“ Die konkrete Antwort, die Bartimäus gibt, die gibt er angesichts der vielen Menschen, die rings herum stehen.

Wenn Du mit Gott konkret wirst, dann ist das nicht etwas, das sich im Herzen oder in unseren Gedanken abspielt. Es liegt eine ungeheure Kraft darin, wenn wir das, was wir konkret erbitten, wenn wir das wirklich aussprechen auch vor anderen Menschen. Ein Kapitel weiter, im elften Kapitel des Markusevangeliums sagt Jesus:

„Ihr müsst Glauben an Gott haben. Amen, das sage ich euch: Wenn jemand zu diesem Berg sagt: Heb dich empor, und stürz dich ins Meer!, und wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen.“ (Mk 11,23)

 

In unseren Worten, in dem, was wir aussprechen, liegt ein Glaubenszeugnis. Und wenn ich konkret, auch im Beisein anderer Menschen bete, dann ist mein Herzensglaube zugleich auch ein Zeugnis vor den Menschen. Ein Glaubenszeugnis, was ich dem großen Gott zutraue, einem Gott, dem kein Ding unmöglich ist. Und von diesem Glauben sagt Jesus: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Mit diesem Glauben können wir gleichsam den Arm Gottes bewegen.

Wenn jemand damit Schwierigkeiten hat, so konkret zu beten, dann fang an zu beten: „Herr stärke meinen Glauben!“ Aber werde irgendwann einmal konkret mit ihm vielleicht in irgendeiner kleinen Angelegenheit. Und Du wirst merken, dass er Dir auch antwortet: „Dein Glaube hat dir geholfen.“

 

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Begegnung auf dem See

(Mt 14,22-33)

 

 

Gleich darauf forderte er die Jünger auf, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Spät am Abend war er immer noch allein auf dem Berg. Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. Doch Jesus begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! Darauf erwiderte ihm Petrus: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme. Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und ging über das Wasser auf Jesus zu. Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen. Er schrie: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.

Mt 14,22-33

 

Jesusbegegnung mitten auf dem See Genesareth.

 

Im vorigen Impuls haben wir die Geschichte vom blinden Bartimäus betrachtet, wo Jesus am Ende zu Bartimäus gesagt hat: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Diese Jesusbegegnung auf dem See nimmt uns gleichsam mit auf einen Glaubensweg. Es gibt nur wenige Geschichten, die uns den Weg des Glaubens von einem zögernden und anfanghaften Glauben bis hin zu dem vollen Bekenntnis: „Du bist Gottes Sohn“, die uns mit an die Hand nehmen und uns gleichsam auf diesen Weg des Glaubens führen. Diesen Glaubensweg bei der Jesusbegegnung auf dem See schauen wir uns etwas näher an. Wir machen gleichsam einem Spaziergang am See Genesareth entlang.

 

Zunächst einmal zwei Vorbemerkungen:

Jesus fordert die Jünger auf, ins Boot zu steigen und ihm vorauszufahren an das andere Ufer. Wer auf den Befehl Jesu hin ins Boot steigt, der muss damit rechnen, dass er Gegenwind bekommt. Das Schiff wurde von den Wellen hin und her geworfen, denn sie bekamen Gegenwind. Das ist typisch in der Nachfolge Jesu, dass nicht alles glatt läuft, dass wir nicht auf einer Wolkenbank dahinschweben, sondern dass wir Gegenwind bekommen. Das erlebt jeder, der sich in die Nachfolge Jesu begibt. Wer auf seinen Befehl hin ins Boot steigt, der soll mit Gegenwind rechnen, mit Opposition.

Ein Zweites: Als sie im Boot auf dem See sind, sehen sie plötzlich Jesus über den See kommen. Und sie erschraken, weil sie meinten, es sei ein Gespenst. Auch das habe ich ganz oft erlebt. Wenn irgendwie das Göttliche in diese Welt einbricht, gerade wenn man am Anfang eines Glaubensweges steht und das erlebt, dann kommt einem das oft sehr gespenstisch vor. Ich kann mich gut erinnern, wie ich als junger Kaplan zum ersten Mal unvorbereitet in einen charismatischen Gottesdienst kam. Wo die Menschen in allen Altersschichten mit erhobenen Händen da standen und mit verklärten Gesichtern Gott lobten und priesen. Ich habe damals gedacht, ich bin bei Spiritisten gelandet. Es kam mir gespenstisch vor. Achten Sie einmal darauf, wie oft uns das in der Bibel begegnet, dass Menschen beim Einbruch des Göttlichen in diese Welt erschrecken. Das war hier auch so. Jesus kommt über den See. Die Jünger sehen das; sie erschrecken, weil sie meinten, es sei ein Gespenst. Und sie schrien vor Angst.

Aber dann sagt Jesus zu ihnen: „Habt Vertrauen, ich bin es, fürchtet euch nicht!“ Dieses Wort begegnet uns immer wieder in der Bibel: „Habt Vertrauen, ich bin es, fürchtet euch nicht.“

 

Und dann beginnt der Glaubensweg des Petrus. Den wollen wir uns jetzt in seinen einzelnen Schritten einmal genau anschauen. Als Jesus sagt: „Habt Vertrauen, ich bin es, fürchtet euch nicht!“, da tut Petrus einen ersten Glaubenschritt. Dieser erste Glaubensschritt besteht nicht darin, dass er ruft: „Hier bin ich, ich komme zu dir.“ Der Glaubensweg des Petrus beginnt ganz zaghaft und zögernd: „Wenn du es bis, dann befiel, dass ich auf dem Wasser zu dir komme. Wenn du es bist. Ich habe ganz oft erlebt bei mir selbst und auch bei anderen: So beginnt oft ein Glaubensweg: Wenn das alles stimmt, was in der Bibel steht, dann möchte das ich das auch erleben. Wenn das alles wahr ist, was in der Verkündigung gesagt wird, dann möchte ich zu Jesus kommen. Wenn du es bist, dann lass mich zu dir aufs Wasser kommen. Und wenn ich Ihnen eines wünsche, dann dieses, dass Sie diese Sehnsucht zum Ausdruck bringen können: Herr, wenn es dich wirklich gibt, wenn du ein lebendiger Gott bist, dann möchte ich dich erleben. Das ist der erste Glaubenschritt.

 

Der zweite Schritt des Glaubens: Stellen Sie sich einmal vor: Petrus hätte all seinen Glauben zusammen genommen, wäre aus dem Boot ausgestiegen und aufs Wasser gegangen. Er hätte mit Sicherheit nasse Füße bekommen. Da muss nämlich noch ein Schritt dazwischen passieren, nämlich dass Jesus ihn ruft: „Komm!“ Und erst wenn Jesus ruft: „Komm!“, dann kann Petrus auf dem Wasser gehen, dann trägt das Wasser. Erst wenn Gott spricht, wenn Gott einen Anruf ergehen lässt, dann wird Unmögliches möglich. Auch das begegnet uns immer wieder im Alten Testament und im Neuen Testament. Der Ruf Gottes ergeht, und dann geschehen Zeichen und Wunder, dann wird menschlich Unmögliches möglich. Das ist der zweite Schritt: Er hört den Ruf Jesu: „Komm!“

 

Der dritte Schritt auf diesem Glaubensweg: Petrus steigt aus dem Boot aus. Dieser Schritt wird keinem erspart bleiben, dass er irgendwann einmal aussteigt muss, dass er den gesicherten Boden verlässt und sich auf eine -menschlich gesehen- unsichere, unwahrscheinliche Sache einlässt. Das ist bei uns Priestern zum Beispiel dann, wenn wir vor der Diakonatsweihe dem Bischof den Zölibat versprechen, ein eheloses Leben. Wer weiß dann schon, ob das gelingt. Das ist so, wenn ein junger Mensch ins Kloster eintritt und seine Gelübde ablegt. Das ist bei Eheleuten so, wenn sie einem Partner das Jawort geben „… bis der Tod uns scheidet“. Da wird jeweils ein Scheck, der auf die Zukunft ausgestellt ist, und man weiß nicht, wie es enden wird. Keiner, der in die Nachfolge Jesu geht, wird an diesem Schritt vorbeikommen. Irgendwann einmal wirst Du gefragt, ob Du aussteigen willst oder nicht. Und wenn dann noch alle anderen im gesicherten Boot rufen: „Petrus halt ein, das Wasser trägt dich nicht!“ Jesus hat gerufen: „Komm!“ Und dann ist die Frage: Willst Du aussteigen, oder meldest Du Dich erst zu einen Schwimmkurs an.

 

Ein nächster Schritt: Es heißt ja nun nicht: Petrus ging auf dem Wasser, sondern: Er ging auf Jesus zu. Diese kleine Bemerkung ist mir sehr wichtig. Das Wasser trägt den Petrus so lange, wie er auf Jesus zugeht, wie sein Blick auf Jesus gerichtet ist. Wenn unser Blick gerichtet ist auf die widrigen Umstände, Wind und Wellengang, dann trägt es uns nicht. Es ist ganz wichtig auf dem Glaubensweg, dass der Blick gerichtet ist auf Jesus Christus, auf den lebendigen Gott.

Ich erinnere Sie an die Geschichte von der Brotvermehrung. Da schauten die Jünger auf die widrigen Umstände: Auf der einen Seite fünf Brote und zwei Fische und auf der anderen Seite 5000 Männer, die nichts zu essen hatten. Natürlich kommen sie zu dem Ergebnis: Was ist das für so Viele? Jesus blickt auf zum Vater im Himmel und auf seine Möglichkeiten. Seine Blickrichtung geht eben nicht auf die widrigen Umstände. Er spricht das Dankgebet und sagt: „Austeilen!“ Und alle werden satt.

Achten Sie einmal darauf, wie oft unser Blick gerichtet ist auf die widrigen Umstände. Sogar im Gebet malen wir Gott die widrigen Umstände ganz groß aus. Unser Gebet sollte viel mehr geprägt sein vom Vertrauen auf einen Gott, dem nichts unmöglich ist.

 

Nächster Schritt: In dem Augenblick, wo Petrus auf die widrigen Umstände schaut, auf den Wind und die Wellen, in dem Augenblick sackt er ein. Da trägt es ihn nicht mehr. Aber dann tut Petrus einen entscheidenden richtigen Schritt. Petrus hätte ja dann reagieren können: „Das hab ich ja gleich gedacht, dass es unmöglich ist, auf dem Wasser zu gehen. Ich hätte auf die anderen im Boot hören sollen …“ Aber Petrus reagiert ganz anders, als sein Glaube ihn nicht mehr trägt. Er richtet seinen Blick sofort wieder auf Jesus: „Herr hilf mir!“ Wenn Dein Glaube schwach geworden ist, wenn Du Dich hast von den widrigen Umständen in Deinem Leben prägen lassen, dann wende Dich möglichst sofort wieder an Jesus: „Herr rette mich!“

 

Ein weiterer Schritt auf diesem Glaubensweg. Und der ist mir wieder so kostbar. Jesu streckt sofort die Hand aus und ergreift den Petrus. Sofort! Jesus hat zu Petrus nicht gesagt: „Jetzt lass ich dich erst einmal bis zum Hals einsinken, damit du merkst, wo du mit deinem Kleinglauben hinkommst.“ Nein, in dem Augenblick, wo Petrus ruft: „Herr rette mich!“, da greift Jesus sofort ein und zieht ihn hoch. Er macht ihm keine Vorhaltungen. Erst als er ihn herausgezogen hat, sagt er zu ihm: Was ist dein Glaube noch klein. Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Warum hast du auf die widrigen Umstände geschaut und nicht auf mich?

 

Und dann steht am Ende, als sie ins Boot gestiegen waren, das voll ausgeprägte Glaubensbekenntnis der Jünger: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.“

 

Ich weiß nicht, an welchem Punkt dieses Glaubensweges Du stehst. Irgendwo steht jeder von uns.

Vielleicht bist Du an dem Punkt, wo Du aus vollem Herzen bekennen kannst: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.“ Dann freu Dich darüber und danke Gott dafür.

Vielleicht bist Du gerade an einem Punkt, wo Dein Glaube schwach geworden ist, wo Du Dich hast bestimmen lassen von den widrigen Umständen in Deinen Leben. Du bist eingesackt und kannst nicht heraus.

Vielleicht stehst Du ganz am Anfang des Glaubensweges: „Wenn das alles stimmt …“

Vielleicht kommt Dir alles, was mit Gott zu tun hat, sehr gespenstisch vor.

Ganz gleich, an welchem Punkt dieses Glaubenweges Du stehst: Jesus nimmt dich ganz ernst. Und er führt Dich schrittweise weiter auf den Weg zu ihm hin.

 

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Träger zu Jesus

(Mk 2,1-12)

 

 

Als Jesus einige Tage später nach Kapharnaum zurückkam, wurde bekannt, dass er (wieder) zu Hause war. Und es versammelten sich so viele Menschen, dass nicht einmal mehr vor der Tür Platz war; und er verkündete ihnen das Wort. Da brachte man einen Gelähmten zu ihm; er wurde von vier Männern getragen. Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen (die Decke) durch und ließen den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinab. Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! Einige Schriftgelehrte aber, die dort saßen, dachten im Stillen: Wie kann dieser Mensch so reden? Er lästert Gott. Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott? Jesus erkannte sofort, was sie dachten, und sagte zu ihnen: Was für Gedanken habt ihr im Herzen? Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben!, oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh umher?  Ihr sollt aber erkennen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben. Und er sagte zu dem Gelähmten: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause! Der Mann stand sofort auf, nahm seine Tragbahre und ging vor aller Augen weg. Da gerieten alle außer sich; sie priesen Gott und sagten: So etwas haben wir noch nie gesehen.

Mk 2,1-12

 

Wir sind in dieser Impulsreihe beim Thema „Jesusbegegnung“. Wenn wir diesen Abschnitt aus dem Markusevangelium lesen, dann kann man den Eindruck gewinnen: Die wichtigsten Männer in dieser Geschichte sind die vier Träger. Ohne diese Träger hätte der Gelähmte überhaupt eine Chance gehabt, zu Jesu zu kommen. Das war ja gerade seine Not, dass er nicht laufen konnte, dass er mit eigenen Kräften keine Möglichkeit hatte, Jesus zu begegnen. Aber er hatte diese vier Männer, diese Träger. Wir wissen nicht einmal den Namen der Männer. Aber sie waren ganz eminent wichtig, damit Jesusbegegnung stattfinden konnte.

Schauen wir uns diese vier Männer einmal näher an.

Da heißt es von den Trägern: „Als Jesus ihren Glaubens sah …“ Ob der Gelähmte, den sie zu Jesus gebracht haben, Glauben hatte, das erfahren wir nicht. Vielleicht hatte der gar keinen Glauben. Aber dass diese vier Männer Glauben hatten, dass erwähnt der Evangelist ganz ausdrücklich. Es gibt also offensichtlich auch eine Art von stellvertretendem Glauben, wo ich im Glauben stellvertretend für einen anderen eintrete. Jesu sah den Glauben dieser vier Träger.

Aber kann man denn Glauben eigentlich sehen? Ist der Glaube nicht eine Herzensangelegenheit? Wieso kann man diesen Glauben sehen? Doch! Diesen Glauben konnte man sehen.

Die vier Träger hatten ihrem Herzen die tiefste Gewissheit: Wenn wir den Gelähmten zu Jesus bringen, dann wird Jesus ihm helfen. Wie diese Hilfe aussah, das wissen sie nicht. Ich glaube nicht, dass sie damit gerechnet hatten, dass Jesus zu dem Gelähmten als erstes sagen würde: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ Aber eines wissen sie: Wir müssen diesen Menschen unbedingt zu Jesus bringen. Als die Träger mit dem Gelähmten auf dem normalen Weg durch die Tür nicht hineinkommen, da schlagen sie das Dach durch, das Lehmdach eines jüdischen Hauses, und lassen den Gelähmten hinunter vor die Füße Jesu.

 

Wir brauchen heute in unseren Kirchen dringend Männer und Frauen die solchen Trägerdienst leisten., die nicht nur schimpfen auf „die Jugend von heute“, die an nichts mehr glaubt. Wir brauchen Menschen, die sich aufmachen und einen anderen zu Jesus bringen. Es gibt heute ganz viele, die aus eigener Kraft nicht zu Jesus kommen, die wir zu Jesus hinbringen müssen. Es ist ein großer Dienst, den wir anderen Menschen heute tun können.

 

Aber nun stellt sich die Frage, die ich im ersten Impuls schon einmal angeschnitten habe: Wohin will bringen wir einen Menschen ganz praktisch, wenn wir ihn zu Jesus führen wollen? Damals war das einfach, da wusste man: Jesus in diesem und jenem Haus und predigt dort. Aber wo bringt man denn heute einen Menschen hin, wenn man ihn zu Jesus führen will?

Ich frage einmal anderes herum zurück: Wo begegnest Du selbst Jesus am tiefsten? Wo geschieht in Deinem Leben Jesusbegegnung? Das ist nicht bei allen Menschen gleich. Mir begegnet Jesus am tiefsten, wenn ich in der Heiligen Schrift, in der Bibel lese. Ein Freund von mir würde sofort sagen: Mir begegnet Jesus am tiefsten, wenn jeden Tag die heilige Messe mitfeiere. Und es gibt Menschen die sagen: Mir begegnet Jesus am tiefsten, wenn ich den Rosenkranz bete, wenn ich die Geheimnisse seines Lebens und Sterbens betrachtet. Ein Anderer sagt vielleicht: Meine tiefste Jesusbegegnung erlebe ich bei der stillen Anbetung vor dem ausgesetzten Allerheiligsten. Und es wird auch heute Menschen geben, die sagen: Mir begegnet Jesus am tiefsten, wenn ich seine Vergebung erfahre im Sakrament der Buße, in der Beichte.

Wenn das klar ist, wo Du Jesus in Deinem Leben am tiefsten begegnest, dann lasst die Menschen an Deiner Jesusbegegnung Anteil haben. Lass sie da hineinschauen. Nimm sie in Deine Jesusbegegnung mit hinein. So wird ein Mensch zu Jesus geführt. Das ist ein möglicher Weg.

Vier Träger bringen den Gelähmten zu Jesus, damit Jesusbegegnung stattfindet.

 

Ich möchte diese Geschichte einmal von einer anderen Seite her aufzäumen.

Wer sind eigentlich in Deinem Leben die Träger gewesen? Welche Menschen waren das, die dazu beigetragen haben, dass Du zu Jesus gefunden hast? Natürlich waren das wahrscheinlich bei den meisten von uns zunächst einmal die Eltern und die Paten, die uns zur Taufe gebracht haben. Aber es gibt vermutlich ganz viele andere Menschen, die Dir auf dem Weg zu Jesus entscheidend geholfen haben. Manchmal war es ein Religionslehrer, manchmal war das der Gruppenleiter einer Jugendgruppe, manchmal war es eine Begegnung mit einem Freund, manchmal war das ein Priester. Welche Menschen, welche Gruppen von Menschen haben Dir geholfen, zu Jesus zu finden? Wo sind die Träger in deinem Leben? Wenn man darüber einmal nachdenkt, wer im eigenen Leben die Träger gewesen sind, vielleicht kommt man dann auch dazu, für diese vielen Träger zu danken. Es sind Menschen, die mich in ihren Glauben haben ein Stück hineinschauen lassen, die mir Anteil geschenkt haben an ihren Glauben, die mich einfach mit auf den Weg genommen haben. Danke Gott einmal für diese Menschen, die für Dich Träger geworden sind.

 

Aber jetzt wollen wir diese Situation der vier Träger noch einmal von einem anderen Aspekt her beleuchten: Gibt es Menschen, für die Du Träger sein durftest? Denen Du Hilfestellung geben durftest, dass sie zu Jesus gefunden haben. Manchmal sind es ganz einfach schlichte Gespräche zwischen Dir und einem anderen Menschen, die dem anderen geholfen haben, zu Jesus zu finden. Durftest Du für Menschen Träger sein, dass sie Jesus gefunden haben, dass sie Jesus begegnet sind? Mach Dir einmal darüber Gedanken, wer diese Menschen sind, die Gott Dir über den Weg geschickt hat, damit Du sie zu Jesus führen konntest. Manchmal ist das ja so, dass man solche Menschen nur für einen ganz kurzen Augenblick des Lebens begleitet, vielleicht nur für ein einziges Gespräch. Und dann verliert man die Menschen wieder aus dem Auge, und man weiß überhaupt nicht, was aus ihnen geworden ist. Gut, vielleicht wirst Du nie erfahren, was daraus geworden ist. Aber wenn Du Menschen zu Jesus führst, dann überlass es IHM, was er daraus macht. Er hat dem Gelähmten im Evangelium die Sünden vergeben und hat ihn geheilt. Er hat den ganzen Menschen geheilt an Geist, Seele und Leib. Wenn Du Menschen zu Jesus führst, dann überlass es Jesus, was er daraus macht.

 

Aber eins wäre vielleicht wichtig: Wenn es Menschen gibt, die Du zu Jesu führen durftest, dann bete für diese Menschen, tritt im Fürbittgebet diese Menschen ein. Denn wenn Du vielleicht die erste, entscheidende Jesusbegegnung ermöglicht hast, dann werden Widerstände kommen für diesen Menschen, und er braucht die Unterstützung durch das Gebet.

In der Apostelgeschichte im 21. Kapitel, hält Paulus eine Abschiedsrede vor den Vorstehern der Gemeinde von Ephesus. Paulus ist unterwegs nach Jerusalem, und er weiß, dass er die Gemeindemitglieder von Ephesus nicht mehr sehen wird. Am Ende seiner Abschiedsrede sagt er:

 

„Ich weiß, wenn ich jetzt weggehe, dann werden reißende Wölfe bei euch einbrechen, und sie werden die Herde nicht schonen. Auch aus eurer eigenen Mitte werden sich Männer erheben und mit verkehrten Reden die Jünger auf ihre Seite zu ziehen suchen. Und nun empfehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade, das mächtig ist, euch aufzubauen und euch das Erbe zur verleihen mit allen Geheiligten.“  (Apg 21,29-32)

 

Paulus geht. Aber er überlässt die Menschen, die er zu Jesus führen durfte, nicht sich selbst, sondern er sagt: „Ich übergebe euch Gott und dem Wort seiner Gnade, das mächtig ist, euch aufzubauen.“ Wenn wir Menschen diesen Dienst tun durften, ihnen Jesusbegegnung zu ermöglichen, dann tu diesen zweiten Schritt: Übergib sie immer wieder im Gebet der Fürsorge Gottes, der Fürsorge Jesu, der Fürsorge seines Wortes, das mächtig ist, diese Menschen aufzubauen und zu bewahren.

 

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Pharisäer und Sünderin

(Lk 7,26-50)

 

 

Jesus ging in das Haus eines Pharisäers, der ihn zum Essen eingeladen hatte, und legte sich zu Tisch. Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass er im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie, und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lädt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist.

Da wandte sich Jesus an ihn und sagte: Simon, ich möchte dir etwas sagen. Er erwiderte: Sprich, Meister! (Jesus sagte:) Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig. Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben? Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast recht.

Dann wandte er sich der Frau zu und sagte zu Simon: Siehst du diese Frau? Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet. Du hast mir (zur Begrüßung) keinen Kuss gegeben; sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst. Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt; sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, darum zeigt sie (mir) so viel Liebe. Wem aber nur wenig zu vergeben ist, der zeigt auch nur wenig Liebe.

Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben. Da dachten die anderen Gäste: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt? Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!

Lk 7,36-50

 

Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Sie sind sonntags in der heiligen Messe. Kurz vor der Kommunion in einem Augenblick der Stille, rennt plötzlich eine Frau durch den Mittelgang nach vorne mit aufgelöstem Haar. Sie fängt laut an zu weinen, sie wirft sich vor dem Altar auf den Boden und schluchzt ganz laut: „Jesus, Jesus, Jesus.“ Was meinen Sie was dann passieren würde? Wahrscheinlich würde für einen Augenblick peinliche Stille sein. Manche Leute würden die Nase rümpfen und sagen: „So ein hysterisches Getue.“ Dann würden vielleicht einige Männer aus der Bank herauskommen, die Frau aufheben und nach draußen bringen. Das Ganze würde wahrscheinlich sehr peinlich sein.

 

Aber dann kann man ungefähr ahnen, wie peinlich das dem Pharisäer Simon war, der Jesus eingeladen hatte. Er sieht, dass sich da eine Frau von hinten an Jesus heranmacht. Man saß ja damals nicht zu Tisch, sondern lag auf einem Speisesofa auf einen Ellenbogen gestützt. Und da kommt diese Frau mit aufgelösten Haaren, weint sich zu Jesu Füßen aus und zerbricht ein kleines Gefäß mit Salböl. Sie salbt Jesus die Füße, und mit ihren aufgelösten Haaren trocknet sie Jesus die Füße ab.

Peinlich! Allein schon die aufgelösten Haare. Die waren ein sichtbares Zeichen dafür, dass es sich um eine öffentliche Hure handelte. Diese Frau war für Geld zu haben. Sie wurde wie ein Spielball von Hand zu Hand weitergereicht. Die aufgelösten Haare waren dafür ein sichtbares Zeichen.

Und das ausgerechnet in meinem Haus! So mag Simon, der Pharisäer, gedacht haben.

 

Jesus lässt sich das gefallen. Doch da rümpft der Pharisäer die Nase: „Wenn der wirklich ein Prophet wäre, dann müsste er doch wissen, was das für eine ist, von der er sich da berühren lässt. Er wüsste, dass sie eine Sünderin ist, eine Öffentliche.“

 

Ja, Jesus weiß, was das für eine ist. Aber Jesus schaut durch dieses vordergründige, sentimentale Gehabe hindurch in das Herz dieser Frau. Und er erkennt im Herzen dieser Frau ihre ganze Sehnsucht nach Liebe, die vielleicht unerfüllt geblieben ist.

Vielleicht hatte die Frau gehört, wie Jesus mit der Ehebrecherin umgegangen war, die man auf frischer Tat ertappt hatte. Vielleicht hatte diese Frau gehört, wie Jesus umgegangen war mit der Samariterin am Jakobsbrunnen, die fünf Männer gehabt hatte. Fünfmal war deren Ehe in die Brüche gegangen, und jetzt lebte sie mit einem zusammen, mit dem sie gar nicht verheiratet war.

Und dann bricht es im Herzen dieser Frau auf: Wenn mir überhaupt noch einer helfen kann, dann dieser Jesus. Und sie kommt von hinten, ganz klein, an ihn heran. Sie weint über seinen Füßen und trocknet die Füße mit ihren Haaren. Und Jesus sieht durch dieses vordergründige Gehabe hindurch.

 

Das ist eine typische Eigenart Jesu. Er sieht auch heute durch das Vordergründige hindurch etwa bei Menschen, die vielleicht in den Straßen randalieren. Er weiß, wie viel unerfüllte Lebenssehnsucht möglicherweise dahinter steht. Jesus sieht in das Herz eines Trinkers, der seine Familie ruiniert und vielleicht sogar terrorisiert. Er weiß, wie viel Not auch im Herzen eines solchen Menschen ist.

Und er richtet er solche Menschen auf, die sich so unbeholfen wie diese Sünderin von hinten an ihn heranmachen. Er gibt ihnen eine neue Lebensperspektive.

„Ihr ist viel vergeben worden, darum zeigt sie jetzt so viel Liebe“, sagt Jesus.

So kann ein Mensch Jesus begegnen. Vordergründig gesehen: Sentimentales Getue. Aber Jesus schaut in das Herz eines Menschen hinein.

 

Man kann Jesus auch ganz anders begegnen als diese Frau, diese öffentliche Hure. Man kann Jesus auch so begegnen wie der Pharisäer Simon in dieser Geschichte.

Schauen wir uns dessen Jesusbegegnung auch etwas näher an. Er lässt sich die Begegnung mit Jesus etwas kosten. Er hatte ihn eingeladen zum Essen zusammen mit vielen anderen Gästen. Das war sicher ein üppiges Gastmahl. Ja, er hat sich die Begegnung mit Jesus etwas kosten lassen.

Und als Jesus ihn anspricht: „Simon. ich möchte dir etwas sagen“, da antworte Simon: „Sprich Meister!“ Er ist bereit zu hören, er ist aufnahmebereit. Scheinbar, auf den ersten Blick ein optimaler Jünger.

Aber wenn man was genauer hinschaut, dann bemerkt man doch einen anderen Zug, dass diese Jesusbegegnung geprägt ist von einer großen Distanziertheit.

Jesus sagt ihm am Ende: „Simon, du hast mir kein Wasser für die Füße gegeben.“ Es war eigentlich eine Selbstverständlichkeit, gerade in einem wohlhabenden Haus, dass an der Tür ein Diener mit einem Krug Wasser stand, dem Gast etwas Wasser über die Füße goss und ihm die Füße wusch. Dieses kleine Zeichen der Gastfreundschaft war unterblieben.

Es war damals üblich, dem Gast den Bruderkuss zu geben. Dieses kleine Zeichen hatte Simon unterlassen.

Es war üblich, dem Gast ein wenig Salböl aufs Haupt zu gießen als Zeichen der Gastfreundschaft. Auch das war bei Simon unterblieben.

Man spürt: Er begegnet Jesus. Aber diese Jesusbegegnung ist geprägt von einer großen Distanziertheit.

 

Die Frage, die wir uns heute gefallen lassen müssen, ist diese: Wie begegnen wir Jesus? Wird an der Art und Weise, wie wir Jesus begegnen, noch diese Liebe und diese Hingabe sichtbar, wie bei dieser Sünderin? Oder ist es bei uns so, dass wir Jesus begegnen wie der Pharisäer Simon? Dass wir zwar unsere religiösen Pflichten erfüllen, aber es ist so wenig von solchen kleinen Zeichen der Liebe und der Hingabe zu spüren.

Gut, wir bleiben dabei: Das äußert sich bei der Frau im Evangelium nach außen hin wie sentimentales Getue. Aber es drückt einfach auch ihre ganze Liebe aus.

 

Wie begegnen wir Jesus? Wie der Pharisäer Simon oder wie diese Sünderin hier?

Der kleine Unterschied, das sagt Jesus sehr deutlich, liegt in dem Stichwort „Vergebung“. Jesus sagt mit Blick auf die Frau: „Ihr ist viel vergeben worden, darum zeigt sie jetzt so viel Liebe.“ Und er sagt mit Blick auf den Simon: „Wem nur wenig zu vergeben war, der zeigt auch nur wenig Liebe.“

Wie ist das bei uns mit dem Stichwort Vergebung? Ich denke daran ,wie viele Menschen heute so leichthin sagen: „Bei mir ist er eigentlich nichts vorgekommen. Bei mir ist nichts zu vergeben.“ Kann es sein, dass Jesus uns dann auch sagt: „Wem nur wenig zu vergeben war, der zeigt auch nur wenig Liebe“?  

Ich habe immer wieder festgestellt: Wo Menschen aus der Vergebung heraus leben, wo sie spüren: Gott hat mich angenommen. Gott habt meine Schuld vergeben. Er hat mein Leben neu gemacht. Da bricht eine Freude auf, eine Liebe, eine verschwenderische Hingabe an Gott so wie bei dieser Sünderin.

Zwei Menschen begegnen Jesus. Und die Frage ist: Wie begegnest Du Jesus?

 

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Marta und Maria

(Lk 10,38-42)

 

 

Noch einmal wollen wir eine Jesusbegegnung betrachten. Im Grunde sind es zwei Jesusbegegnung. Die Begegnung zwischen Jesus und den beiden Schwestern Marta und Maria. Ich lese den Text im Lukasevangelium im 10. Kapitel die Verse 38 bis 42.

 

Sie zogen zusammen weiter, und er kam in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß.

Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu.

Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen.

Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!

Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig.

Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.

Lk 10,38-42

 

Zwei Schwestern begegnen Jesus. Wenn ich diesen kurzen Abschnitt aus dem Lukasevangelium lese, dann fallen mir etliche Begebenheiten ein, wo ich als Pfarrer unangemeldet einen Hausbesuch gemacht habe. Wie oft geht es dann folgendermaßen: Um Gottes Willen, der Pfarrer ist an der Tür. Dann muss noch schnell der Tisch aufgeräumt werden, da muss schnell Kaffee gekocht werden. O weh, ich hab ja noch die Schürze um. Was wird da manchmal ein „Aufstand“ gemacht. Der Pfarrer ist an der Tür. Statt dass man sich einfach hinsetzt, das Geschirr vielleicht auf dem Tisch stehen lässt, dass man einfach Zeit für einander hat.

 

Genauso hier im Evangelium die Marta. Die Frage am Anfang dieser Jesusbegegnung heißt: Was hat eigentlich Vorrang, der Gast oder die Umstände, die ich mir und den Gast mache?

Die Maria setzt ein ganz eindeutiges Zeichen. Für sie hat der Gast, nämlich Jesus Vorrang. Und sie drückt das dadurch aus, dass sie sich zu seinen Füßen setzt und seinen Worten lauscht. Durch ihre ganze Körperhaltung drückt sie aus: Du bist mir jetzt wichtig. Und was du mir zu sagen hast, das ist mir jetzt wichtig.

Ganz im Gegensatz dazu Marta. Sie macht sich viele Umstände. Ich muss noch ein Gericht auf den Tisch bringen …. Für sie sind die Umstände in diesem Augenblick wichtiger als der Gast. Die Umstände sind wichtiger als Jesus.

 

Solche Haltung wie bei der Marta ist letztlich geboren aus einem Egoismus. Das klingt jetzt etwas hart, aber es ist trotzdem wahr. Bei Marta steht das Ich im Vordergrund. Nicht Jesus ist wichtig, sondern dass Ich für ihn ein gutes Mahl auf den Tisch bringen kann. Sie kommt schließlich zu Jesus sagt: „Herr, kümmerte dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sagt ihr doch, sie soll mir helfen.“ Es geht immer um sie selber. Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll. Nicht Jesus ist wichtig, sondern dass mir jetzt geholfen wird. Sie selber steht im Mittelpunkt mit ihren Umständen, die sie macht ,und nicht Jesus der Gast.

Ich weiß. dass ist jetzt fast überspitzt gesehen. Aber die Frage gilt: Wer hat Vorrang, der Gast oder die Umstände?

 

Über diese Fragestellung hinaus hat die Geschichte aber noch ein anderen wichtigen Aspekt. Es ist eine große Not in unseren Kirchen und bei uns Christen, dass wir uns keine Zeit mehr nehmen zur Stille. Es muss in unseren Pfarrgemeinden in immer etwas los war. Es muss immer etwas gemacht werden. Wir sind immer am organisieren. Und wenn einmal nichts los ist, dann beschweren sich die Leute über den Pfarrgemeinderat, über den Kirchenvorstand: Ihr macht ja nichts. Es geht immer darum, dass etwas gemacht wird.

Aber wo sind die Pfarrgemeinderäte, wo sind die Vorstände unserer Vereine, die sich noch, bildlich gesprochen, zu Jesu Füßen setzen und seinen Worten lauschen? Wo sind die Menschen, die noch so lange über dem Wort der Heiligen Schrift still werden, bis plötzlich hinter den vielen Worten, die man liest und hört, die Stimme des Herrn, die Stimme Jesu erkennbar und hörbar wird? Es wird zu wenig Stille gehalten bei uns.

Ganz auf dieser Linie liegt auch folgende Tatsache: Wenn es heute noch kontemplativen Orden gibt, Schwestern, die ewige Anbetung halten, da sind viele Christen heute der Ansicht: Solche Orden sind total nutzlos und sinnlos. Wenn Ordensschwestern sich um Kranke kümmern, das wird bejaht. Aber einfach nur Betschwestern, Menschen, die zu Jesu Füßen sitzen …?

Das sind die Umstände, die wir machen, wo immer etwas los sein muss, vielleicht in guter Absicht. Man will doch Jesus dienen. Die Absicht ist gut.

 

Alles, was Kraft haben soll, was geistliche Kraft haben soll, das muss geboren werden aus der Stille.

Ein Landwirt, der ein Samenkorn in die Erde sät, darf dann nicht hingehen und jeden Tag die Ackerkrume los machen und nachschauen, ob das Samenkorn gekeimt hat. Dann geht das Samenkorn mit Sicherheit kaputt. Ein Landwirt weiß: Das Samenkorn braucht seine Zeit der Ruhe, damit es wachsen kann, und damit es dann Frucht tragen kann.  

Wo sind die Menschen, die heute noch solche Zeiten der Stille halten?

Schau Dir einmal Jesus selber an. In dem wurde ja wirklich die ganze Kraft Gottes und auch die Menschenfreundlichkeit Gottes sichtbar. Sein Wirken ist immer geboren aus der Stille heraus. Wie oft berichtet uns das Neue Testament, dass Jesus Nächte verbracht hat auf einem Berg im Gebet zu seinem Vater. Gut, er hat sich um die Menschen gekümmert. Er hat sich stören lassen von den Menschen. Aber er hat immer wieder solche Zeiten der Stille gesucht, wo er mit seinem Vater allein war. Das war das Geheimnis seiner Kraft.

Um nur ein Beispiel zu nennen. Lesen Sie einmal den Anfang des achten Kapitels des Johannesevangeliums, wie Jesus der Ehebrecherin begegnet, die gesteinigt werden sollte. Jesus lässt nicht zu, dass diese Frau, die auf frischer Tat ertappt worden war, gesteinigt wird. Aber was so wenig mitgelesen wird, ist der Anfang der Geschichte. Diese Souveränität Jesu ist geboren aus der Stille. Vorher war Jesus im Gebet mit Gott auf dem Ölberg. Aus der Stille heraus kommt seine Kraft, dass er den Frommen widerstehen kann, die steinigen wollen. Die Kraft wächst in der Stille.

 

Auf der anderen Seite: Was soll man dazu sagen: Ich habe vor einiger Zeit mit einem Mitbruder gesprochen, der mir gesagt hat: Ich komme nicht mehr zum Beten. Ich komme nicht mehr zu Meditation, zu stillen Zeit. Die Gemeinde - und er hat eine sehr große Gemeinde mit mehreren Kirchen - frisst mich fast auf. Ich hetze nur noch von einem Termin zum nächsten. Ich komme nicht mehr zur Stille. Ich bin froh, wenn ich ein Predigthandbuch habe, wo ich die Seiten herausreißen kann.“

Aber ich frage: Wo soll denn dann heute im Leben von uns Priestern geistliche Kraft sichtbar werden, wenn wir uns diese Zeit der Stille nicht mehr nehmen (können)? Wenn aber auch die Gemeinde einem Priester solche Zeit der geistigen Stille praktisch nicht mehr ermöglicht? Wenn aufgefressen wird von lauter Terminen? Alles was gut sein soll und Kraft haben soll, muss geboren werden aus der Stille.

 

Ich will es noch einmal mit einem Bild aus der Natur sagen. Ein Baum wächst ja nicht nur nach oben in die Höhe. Je größer ein Baum wird, um so kräftiger müssen die Wurzeln sein. Und je mehr Früchte ein Baum tragen soll, umso mehr muss er darauf achten, dass seine Wurzeln kräftig genug sind nach unten hin.

Wir achten zu wenig auf unser Wurzeln, die verborgen sind, aus denen wir unsere Kraft ziehen. Und wir meinen, wir könnten Frucht bringen ohne die Kraft der Wurzeln, ohne Zeit der Stille. Das geht auf die Dauer nicht gut.

 

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